Rauchendes Fleisch und stille Wasser - Ein Reisebericht von Heidi Metzmeier

Rauchendes Fleisch und stille Wasser

Heidi Metzmeier Icon

Peloponnes

Wir haben definitiv eine negative Ausstrahlung auf Fähren! Der Kahn, der von Kissamos auf Kreta direkt nach Gythio auf der Peloponnes übersetzen sollte, ist außer Betrieb. So bleibt uns nichts anderes übrig, als von Chania aus nach Piräus überzusetzen. Wir buchen eine Kabine, diesmal ohne Hund. Ein komisches Gefühl. Die Nachtfahrt hat etwas erholsames. Die Fähre spuckt uns zur dunklen Morgenstunde am Hafen aus. Wir geraten in den Frühmorgenstau um Athen und sind froh, als wir diese hektische Betriebsamkeit hinter uns lassen. So viel Trubel sind wir nach zwei Monaten weitgehender Einsamkeit nicht mehr gewohnt.

Peter lenkt den Land Rover schnurstracks an die Westküste der Peloponnes. Nach vier Stunden sind wir, rechtzeitig zum zweiten Frühstück, in Elaia Beach. Der Strand ist eine Empfehlung von Becci und Basti, die ihr auf Insta als @ich.kenn.da.ne.abkürzung findet. Peter folgt ihnen schon länger und musste herzlich lachen, als die Beiden erzählten, dass sie hier bei Filia Laundry eigentlich nur Wäsche waschen wollten und am Ende einen Hundewelpen adoptiert hatten. Wir sitzen im weißen Sand auf unseren Campingstühlen, der Strand erstreckt sich ungelogen in beiden Richtungen über Kilometer, so dass man das Ende gar nicht sehen kann. Hinter uns ist Pinienwald, ebenfalls endlos. Interessanterweise spuckt eben dieser Wald alle paar Minuten einen Camper aus. Irgendwo muss da ein Nest sein. Wir beschließen das Ganze näher zu untersuchen. Nach dem Frühstück biegen wir in eine schmale Piste ein und staunen nicht schlecht. Unter den Pinien, zwischen den Bäumen, auf der grünen Wiese dazwischen – überall stehen Wohnmobile und Expeditionsfahrzeuge, aller Größen, Fabrikate und für jeden Geldbeutel, sogar ein amerikanischer Schulbus ist hier als Familienkutsche geparkt. Dazwischen springen jede Menge Hunde und noch mehr Kinder. Das hier ist ein großes Globetrottertreffen, nur ohne vorherige Verabredung.

Da Peter schon seit einer ganzen Weile hundlos wie Falschgeld durchs Leben läuft, beschließen wir, uns die Einrichtung Filia Strays in Kakovatos einmal näher anzusehen. Sie wurde von der Deutschen Sarah zu Coronazeiten gegründet. Hier gibt es alles, was das Reiseherz höherschlagen lässt, angefangen von der warmen Dusche über leckeres veganes Essen bis hin zum Walnusskuchen. Durch diese Einnahmen, vor allem aus der Wäscherei, finanziert das Projekt, in dem viele freiwillige Helfer mitwirken, die Arbeit als NGO für den Tierschutz. Wir werden herumgeführt und schon habe ich einen Hundewelpen im Arm. Da wir die Dinge aber langsam angehen und überdenken wollen, setze ich das süße Tier alsbald wieder ab.

Der Samen ist jedoch gesäht und so dauert es nicht lange, bis wir über das Internet eine weitere Einrichtung recherchiert haben, ebenfalls von Deutschen betrieben. DASH kümmert sich um Hunde im Einzugskreis um Kalamata. Wir sehen auf der Webseite der Tierschutzorganisation die Hunde, die sie zur Adoption ausgeschrieben haben. Eine junge Hündin, Griffon-Mix, spricht uns sofort an. Wir nehmen Kontakt auf und können Nellie schon wenige Tage später besuchen. Die Verhältnisse auf dem großen, mit Olivenbäumen bestandenen Areal sind für uns ein Schock. Hier leben eintausend Tiere und es werden täglich mehr, weil die Feuerwehr und Privatleute alle Hunde, die sie irgendwo aufgreifen, hier her bringt. Sie sind teilweise in sehr bedauernswertem Zustand, teils gerade neu geboren. Die Helfer sind völlig überfordert, weil es zu viele Tiere sind. Die finanziellen Ressourcen sind ohnehin schon lange aufgebraucht. Eigentlich wäre es Aufgabe der Gemeinden sich zu kümmern und finanzielle Hilfe zu leisten. Es gibt auch ein Gesetz in Griechenland, dass Streuner kastriert werden müssen. Aber bei dem Gesetz ist es geblieben. Unsere persönliche Erfahrung ist, dass die Polizei stattdessen den NGOs ein paar Tage Vorlauf gibt, um die Streuner aufzunehmen. Sie drohen offen damit sie andernfalls zu vergiften. Alles in allem untragbare Zustände. Ich habe Hochachtung vor den vielen freiwilligen Helfern die sich hier versammeln, aus England, Deutschland, Italien und natürlich auch Griechenland. Sie tun was sie können, um den Tieren einen sicheren Hafen zu bieten.

Als wir bei DASH ankommen, um uns mit der Frau zu treffen, in deren Garten Nellie seit ihrem Auffinden gelebt hat, herrscht ohrenbetäubender Lärm, so wie es eben klingt, wenn tausend Hunde gleichzeitig bellen. Nellie ist völlig verängstigt. Wir sollen sie zum Spazierengehen mitnehmen. Nur, dass sie noch nie eine Leine gesehen hat, geschweige denn bei dem Tohuwabohu auch nur einen Schritt tut. Peter und ich schauen uns an und beschließen kurzerhand, sie im Land Rover mitzunehmen. So viel zum Vorsatz „der Hund sucht dich aus“. Das wird uns später noch sehr stark beschäftigen.

Auf jeden Fall sind wir ab dieser Stunde wieder zu Dritt unterwegs, regeln den Papierkram für die Adoption, nehmen die 15 Monate junge Hündin noch einmal mit zum Tierarzt für eine abschließende Untersuchung und Wurmkur, bekommen einen Pass und weiter geht die fröhliche Fahrt.
Damit wir uns aneinander gewöhnen können, kehren wir an den Strand von Elaia/Kakovatos zurück und verbringen dort einige Tage in guter Gesellschaft anderer Reisender, fast alle aus Deutschland und ebenfalls mit Hunden. Es ist erstaunlich wie viele Menschen den Winter in Griechenland verbringen.
Nellie hat Spaß mit den anderen Hunden, da sie sehr kontaktfreudig ist. Auch mit der Katze der Nachbarin kommt sie gut klar, wobei diese mehr Autorität besitzt als unser Hund. Als Nellie einmal mitsamt ihrer Leine entwischt, hält die Katze, die nicht viel Größer ist als zwei Tennisbälle, diese fest. Nellie ist so verdutzt, dass sie stehenbleibt.

Die Leine bleibt ihr Feind. Sie versucht diese durchzubeißen, so dass wir für eine Weile auf eine Variante mit Metall umstellen. Die nächste Herausforderung ist das Fahren. Nellie hat schnell verstanden, dass sie durch die Öffnung zwischen Kabine und Fahrerhaus auf die Vordersitze klettern kann. Da sie noch nicht auf Befehle hört und einen rechten Dickschädel hat, bin ich damit Beschäftigt, sie mit meinem Arm im hinteren Fahrzeugteil zu halten. Das ist auf Dauer zu anstrengend. Daher installiert Peter ein provisorisches Metallgitter, das es Nellie erlaubt, immer noch auf dem Absatz zu stehen und nach vorn hinauszusehen ohne hindurchzuschlüpfen. Unnötig zu erwähnen, dass das Gitter nicht auf Gegenliebe stößt.

Nach mehreren Tagen brechen wir auf in Richtung Norden. Auf einem sehr noblen Campingplatz, zwischen Pyrogos und Patras, der das ganze Jahr über geöffnet hat, treffen wir Becci, Basti und ihren Hund Willi schließlich persönlich. Zwei wundervolle Menschen, die ihren Traum vom freien Reiseleben genießen. Willi und Nellie verstehen sich bombe und rasen gemeinsam über das Camp. Wir können nicht fassen wie groß Willie ist. Auf den Fotos sieht er klein und tapsig aus. Auch Becci und Basti waren erstaunt, dass er einfach nicht aufhört zu wachsen. Glücklicherweise gibt es in ihrem Camper genug Platz.
Ich habe viele Anknüpfungspunkte mit Becci, die gerade im Selfpublishing ihren ersten Reiseführer zu Kreta herausbringt. Ein spannendes Projekt!

Jassas Hellas!

Die große Brücke, welche die Peloponnes vom Festland trennt (kostet in der Überfahrt übrigens 23 Euro) ist schnell überwunden. Kurz darauf verlassen wir die Autobahn in Richtung der Lagune von Mesologgi. Hier lernen wir noch einmal ein neues Stück Griechenland kennen. Dörfchen in denen entspannte Menschen in kleinen Häuser leben, die auf Stelzen im Wasser erbaut sind. Es wird hier Salz aus dem Meer abgebaut. Am Ende eines langen einspurigen Steges durch die Lagune steht eine kleine Kirche. Hier beziehen wir unser Nachtlager auf der grünen Wiese. Die Stimmung ist magisch, das Licht der Sonne bricht sich auf dem ruhig stehenden Wasser. Einheimische schwimmen im Meer. Das Wasser hat sicher nicht mehr als 15 Grad. Mich bekämen keine zehn Pferde hier hinein. Der kleine Wald hinter uns beherbergt zwei wilde Hunde, mit denen nicht gut Kirschen essen ist. Zum Morgenspaziergang nehme ich einen Stock mit und bin froh, dass ich ihn nicht brauche.

Wir geben zu, dass uns das Olivenöl nirgends besser geschmeckt hat, als auf der Insel Lefkada. Wenn das kein Grund ist, auf dem Rückweg noch einmal vorbeizuschauen…Allerdings haben wir nicht damit gerechnet, dass in Griechenland das Faschingsfest an einem anderen Datum gefeiert wird, als bei uns. So geraten wir mitten in den „rauchigen Donnerstag“. Die griechische Bezeichnung dafür ist Tsiknopempti. Der Begriff leitet sich von der Tradition ab, dass man an diesem Tag Fleisch grillt und zwar am liebsten in Gesellschaft von Familie und Freunden. Auf der Straße vor den Restaurants, in Einfahrten von Privathäusern, in den Höfen von Betrieben ebenso wie in den Gärten der Vereine brennen Grillfeuer und es stehen oder sitzen Menschen beisammen die fröhlich sind und gemeinsam eine gute Zeit haben. Die Einheimischen erzählen uns, es sei einer der wichtigsten Feiertage in ihrem Kalender. Peter, der von der Tradition nichts weiß, organisiert uns etwas zu essen im Restaurant und wird ungläubig angeschaut, als er versucht etwas ohne Fleisch zu bestellen. Die Köchin setzt drei Mal an, bis sie versteht, dass er wirklich gern etwas vegetarisches mitnehmen möchte. Die Stadt ist zum Bersten voll. Wir sehen auch Menschen in Verkleidung, bei weitem nicht nur Kinder. Als die ersten Kostümierten in voller Montur auftauchen und eine Art Umzugswagen begleiten, sehen wir zu, dass wir wegkommen, denn unsere Nellie ist sehr geräuschempfindlich. Sie hat vor allem Angst das Lärm erzeugt. So bleibt mir die griechische Variante des Faschingsumzugs (leider) erspart.

Ein sehr unverhoffter Abstecher auf der Insel Lefkada bringt uns über Umwege zum Melissa Canyon. Eigentlich wollten wir an der Küste entlang cruisen, aber die Straße ist gesperrt. So bleibt uns nichts anderes übrig, als die schmale, sehr steile Straße durch einen kleinen Ort zu nehmen. Prinzipiell kein Problem, wenn da nicht der Gegenverkehr wäre. Eine Dame mittleren Alters in einem Mittelklasse PKW, die uns entgegenkommt, versperrt den Weg und versucht mit wachsender Verzweiflung den Rückwärtsgang einzulegen. Ich habe den Eindruck, sie hat ihn noch nie benutzt. Es knarzt und kracht und bei jedem Versuch anzufahren würgt sie den Wagen ab. Sie tut mir unendlich leid, denn hinter ihr beginnt sich eine lange Schlange wartender Autos zu bilden. Das Chaos ist perfekt, als sich ein alter Mann im Mercedes an allen Wartenden vorbeischiebt und denkt er könne überholen. An unserer Stoßstange ist allerdings Schluss. Jetzt werden die Griechen in den wartenden Autos so richtig wütend auf den Landesgenossen. Als sich einer anbietet das Auto der Frau wegzufahren schafft sie es schließlich selbst. Sie hat auf jeden Fall zu Hause etwas zu erzählen.

Wir erreichen den Einstieg zum Canyon und beginnen den Fußmarsch, der uns an Wasserstellen vorbei, durch Nadelwälder und schließlich zu einem Flusslauf führt. Hier blühen schon die ersten Frühlingsblumen. Der weitere Weg ist angelegt. Es geht erst über steinerne Pfade und dann über Holzbrücken. Diese sind allerdings schon so marode, dass sowohl Nellie als auch ich alsbald in Streik treten. Man kann durch die Bretter hindurch auf die metallene Stützkonstruktion sehen und natürlich auch in das weit unten liegende Flussbett. Peter bedauert sehr, dass seine Frauen das Handtuch werfen. Der Canyon hätte sicher noch einige sehenswerte Ausblicke bereitgehalten.

Die letzte Bucht vor Igoumenitsa an der wir einen Stopp einlegen heißt Ai Gianakis und ist winzig, aber wie aus einem Film: Türkisblaues Meer, Kieselstrand, hölzernes Strandgut und auf dem Plateau darüber Olivenbäume. Wir finden einen ebenen Platz in der Sonne, auf dem wir uns für die Nacht einrichten. Kaum haben wir uns installiert nähern sich auch schon vier Katzen, die hier offenbar leben und sich über Touristen freuen, die sie füttern. Das Miau-Konzert ist jedenfalls nicht zu überhören. Recht bald sind wir belagert. Die Tiere sitzen im Motorraum, auf der Motorhaube und im Radkasten. Nellie rennt derweil ausgelassen am Strand entlang. Sie hat das Meer lieben gelernt. Als sie außer Sichtweite ist, füttert Peter die Kätzchen.

Und dann erreichen wir nach drei Monaten wieder Igoumenitsa. Dort buchen wir eine Überfahrt nach Venedig. Bis es soweit ist, lassen wir uns an der Lagune nördlich der Stadt nieder, wo wir am Sandstrand stehen und den großen Fähren, die nach Corfu oder Italien auslaufen, zusehen. Es ist erstaunlich wieviel Schiffs- und mithin Warenverkehr hier unterwegs ist. Peter nutzt die Gelegenheit und geht im Meer ein letztes Mal schwimmen. Ich sitze auf dem Campingstuhl und genieße die Sonne auf der Haut.

Nun ist es Zeit sich am Hafen einzufinden. Die Fähre ist diesmal nicht defekt, sondern hat einfach nur vier Stunden Verspätung. Bis Venedig sind es fünfundzwanzig Stunden Fahrt. Zeit, in der wir uns mit anderen Reisenden austauschen. So lernen wir Barbara und Helmuth kennen, zwei Menschen die mich über die Maßen beeindrucken. Sie arbeiten jeden Winter als Entwicklungshelfer, mal in Afrika, mal auf Lesbos. Sie sehen vieles was sie bestürzt, aber sie lieben dennoch ihre Arbeit und freuen sich über jede Hilfestellung, die sie geben können. Von ihrer positiven Einstellung möchte ich mir gern etwas abschneiden. Im Sommer betreiben sie zum Ausgleich eine Hütte in Österreich. Die Kinder sind groß und sie frei ihr Leben so zu gestalten, wie es ihnen gefällt. Imponierend!

Venedig

Die Fähre nähert sich der Lagune im Schritttempo. Um uns herum ist dichter Nebel. Die Atmosphäre ist perfekt für einen Gruselfilm. Der Kapitän hält das Schiff genau zwischen den hölzernen Markierungen, die hier eingelassen sind. Außerhalb dieser Fahrrinne würde die Fähre bald auf Grund laufen. Wir erfahren, dass das früher eine Taktik war, Angreifer von ihrem Ziel abzubringen. Man entfernte die Markierungen und die Boote liefen auf. Clever!
Wir stehen an Deck und beobachten das Einlaufen. Schon von der Fähre aus können wir den Campingplatz sehen, auf dem wir unterkommen werden. Er lieg in direkter Nachbarschaft zum Hafen, praktisch an einem Fähranleger in Richtung Venedig.

Kaum sind wir von der Fähre gerollt, werden wir von italienischen Grenzpolizisten aus der Schlange gewunken. Eine innereuropäische Fahrt und es wird trotzdem kontrolliert. Wir sind erstaunt. Gut, dass Nellies Papiere in Ordnung sind. Ihre Chip-Nummer wird mit dem Pass verglichen. Tiere zu entführen wäre also nicht so einfach. Den Zollbeamten geht es aber vornehmlich um Menschenschmuggel. Sie leuchten in unsere Kabine und schauen, ob wir wirklich nur zu Dritt sind.
Am Campingplatz checken wir kurz ein, suchen uns einen Platz auf der grünen Wiese und sind schon unterwegs in Richtung Fähre nach Venedig. Nellie bekommt in ihren ersten Tagen ganz schön was geboten.

Die Anfahrt auf die Inselstadt ist atemberaubend. Man hat die Silhouette, die Front der viele altehrwürdigen Gebäude, schon so oft in Filmen gesehen, aber live ist das Ganze doch eine Nummer größer. Ich habe Gänsehaut und die kommt nicht vom Fahrtwind.
Eigentlich hatten wir nicht viele Umtriebe erwartet, hatten wir den Besuch doch so terminiert, dass Ostern noch weit vor uns liegt. Trotzdem ist die Stadt voll von Menschen aller Nationalitäten. Nicht nur Nellie fühlt sich vollkommen überfordert. So biegt Peter, der selbst hier seinen Orientierungssinn nicht verliert, in Seitengassen ab, in denen es ruhiger ist. Ziemlich bald nach der Ankunft lassen wir uns in einem kleinen, schnuckeligen Restaurant an einem der Kanäle nieder und genießen die erste echte Pasta seit Monaten. Die Sonne hat es inzwischen auch geschafft den Nebel aufzulösen. Alles perfekt.
Gut gestärkt schlendern wir durch die Gassen, überwinden Brücke um Brücke, biegen um diese und jene Ecke und kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Der Glanz vergangener Tage ist an den Fassaden noch zu sehen, aber das Wasser holt sich sein Terrain zurück, nicht nur durch Hochwasserstände, sondern durch stetes Bearbeiten der Substanz. Wenn hier nicht permanent nachgebessert wird, drohen die Gebäude unter den Augen der Bewohner zu zerfallen. Die Vergänglichkeit ignorierend schippern derweil singende Gondoliere gut gelaunte Touristen durch die Kanäle. Wir haben das Vergnügen einer kurzen Überfahrt nur ein einziges Mal, in Gesellschaft mehrerer anderer Reisender. Die Gondel schaukelt und ich halte mich krampfhaft an den Holzbrettern fest, die meinem Rücken kaum einen Halt bieten, so kurz sind sie. Nein, das wäre auf Dauer nichts für mich.

Was mir an Venedig imponiert ist das Handwerk. Wir können beispielsweise in die Hinterhöfe der Betriebe schauen, die auch heute noch Gondeln aus Holz neu aufbauen. In vielen kleinen Ateliers wird außerdem die Glaskunst verkauft, die auf der Insel Murano in der Lagune von Venedig hergestellt wird.
Wer auf Karneval steht, kommt nach Venedig zur Faschingszeit. Auch außerhalb dieser Jahreszeit werden hier überall die typischen Masken angeboten. Wir spähen durch kleine Fenster in Ateliers, in denen diese Masken an winzigen Tischchen, bei spärlicher Beleuchtung erstellt und kunstvoll verziert werden.
Als Bücherfan muss ich schließlich auch die Libreria Acqua Alta besichtigen. Es ist die bisher unkonventionellste Buchhandlung die ich gesehen habe. Hier ist jeder Quadratzentimeter mit Büchern besetzt, arrangiert auch in Fässern, Badewannen und Schiffen. Trotzdem sind viele der Exemplare vom Wasser beschädigt, denn die Buchhandlung wird immer mal wieder vom Hochwasser, das hier Acqua Alta heißt, heimgesucht.

Wir halten uns auch am zweiten Tag unseres Venedigbesuchs abseits der Touristenströme auf, setzen über nach Giudecca, wo wir ungestört an unserem Weinchen nippen und andere Besucher beobachten können. Peter ist vor allem von einer Szene fasziniert: Eine Dame wird mitsamt ihrem Gondoliere, bereits im Boot sitzend, das mit Schlaufen an einem Kran befestigt ist, vom Steg aus in den Kanal gehoben und im Wasser sanft abgesetzt. Sie hat sich die Fahrt aber offenbar ruhiger ausgemalt, denn wir beobachten sie noch eine ganze Weile. Der Gondoliere hat seine liebe Mühe, weil sie recht hektisch mit den Armen rudert. Das auszugleichen ist eine Aufgabe!

Wir tun der Stadt und der Lagune sicher unrecht, dass wir ihnen bereits nach zwei Tagen den Rücken kehren, aber mir schlägt der Nebel aufs Gemüt, der hier hartnäckig über der Lagune hängt, Nellie ist der Trubel ohnehin zu viel und wir leiden alle unter der schlechten Luft, die von der Industriestadt Mestre produziert wird. Man nennt sie auch die hässliche Schwester Venedigs. Der Schadstoffausstoß ist nirgendwo in Italien größer.

Am Morgen unserer Abreise beobachte ich vom Campingplatz aus noch ein besonderes Schauspiel: Die Grimaldi-Fähre, die exklusiv LKW bzw. Container transportiert, läuft im Hafen ein. Sie ist so hoch, dass ich den Kopf – als sie an uns vorübergleitet – ganz in den Nacken legen muss, um die oberen Stockwerke zu sehen. Das Schiff bewegt sich nahezu lautlos. Der Grund ist auf den Rumpf gepinselt. Hybride Antriebstechnik. Der Kahn fährt im Hafen ausschließlich mit Strom. Allerdings sind seine Ausmaße so auf maximale Auslastung getrimmt, dass es zwei Schlepper braucht, die das Teil millimetergenau drehen, damit die Fähre, ohne irgendwo anzuecken, anlegen kann.

Wir hingegen haben keine Probleme unseren Passepartout in Richtung italienischer Riviera zu lenken, mit Ziel Südfrankreich. Aber das ist eine andere Geschichte…

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