Frühlingsgezumpel 2024

Yin und Yang

Heidi Metzmeier Icon

Heute wird wieder gezumpelt! Wer mich hier schon länger begleitet weiß, dass ich zu einem lockeren Autorengrüppchen gehöre, das gern Kurzgeschichten fabriziert, die sich an den Jahreszeiten orientieren. Das Autorengezumpel ist nun im Frühling 2024 angekommen und meine Geschichte ist etwas skurril geraten. Hat sich über Nacht in mein Gehirn geschlichen und ging einfach nicht mehr weg. Ich bin gespannt wie es dir gefällt. Schreib mir gern eine Mail dazu, das würde mich echt freuen!

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Als er an diesem sonnigen Frühlingsmorgen mit zögerlichen Schritten hinaustrat und die Metalltür hinter ihm krachend ins Schloss fiel, musste er blinzeln. Direkte Sonneneinstrahlung war ungewohnt. Die Stofftasche in seiner rechten Hand wog leicht, die ungewisse Zukunft auf seinen Schultern schwer. Mit einem Seufzer ließ er seinen Blick die Straße entlanggleiten, erst rechts, dann links. Natürlich war niemand gekommen, um ihn abzuholen. Wer auch? Seine Frau hatte ihn in dem Moment verlassen, als die gleiche Metalltür, vor zwanzig Jahren, hinter ihm ins Schloss gefallen war. Annette hatte alles darangesetzt, dass auch ihre gemeinsame Tochter Jessica jeden Kontakt zu ihm mied. Einzig seine Schwester war ihm treu geblieben. An einem für den Rest der Welt gewöhnlichen Werktag musste sie jedoch arbeiten.
Er verharrte noch eine Weile unschlüssig an Ort und Stelle, trat vom rechten Fuß auf den linken. Dann ging er zum Park hinüber. Dort sog er den intensiven Duft der Rhododendren, von Flieder und Holundersträuchern ein. Herrlich!

Er war nie der gesellige Typ gewesen. Zwischen Pflanzen hatte er sich hingegen immer wohl gefühlt. Die intensiven Farben, die Gerüche, saftig grüne Blätter der Bäume, die ein schützendes Dach über seinem Kopf bildeten. All das hatte ihm sehr viel bedeutet. Seine Gärtnerei, vermutete er, gehörte seit langer Zeit der Konkurrenz. Er würde schauen müssen, ob man ihm mit seinem Lebenslauf überhaupt noch einen Job anbot.

Die Medien waren damals mit Wonne über ihn hergefallen. „Der Mörder von Schussenhausen“ hatte noch zu den milderen Schlagzeilen gehört. Vor Gericht war ihm nichts anderes übriggeblieben, als machtlos zuzusehen, wie die Anklage jedes Beweisstück gegen ihn umdeutete. Seine Fingerabdrücke waren natürlich überall gewesen, hatte er doch gerade den Garten der alten Frau Schüsseler neugestaltet. Dass man ihn praktisch in flagranti erwischte, als er – noch dazu mitten in der Nacht – ein Loch hinter dem Haus aushob, war unglücklich. Er hatte versucht die Peinlichkeit zu erklären. Im war ein kleiner Fehler zum Verhängnis geworden: Die Palme, die die Schüsseler zwar bezahlt aber nie bekommen hatte, schaute ihn aus einer Ecke seiner Gärtnerei anklagend an. Als er – erst nach Tagen – seinen Fehler bemerkte, entschied er sich, die Pflanze in einer Nacht-und-Nebel-Aktion auf ihrem Grundstück zu pflanzen, und zwar dort, wo man ihn vom Haus aus nicht direkt würde sehen können. Hätte er geahnt, dass zur gleichen Zeit ein Erbschleicher, Einbrecher oder sonstiger Halunke eine Attacke auf die Alte verübte…

Er hatte zwanzig Jahre lang Zeit gehabt diese schicksalshafte Verkettung misslicher Umstände zu akzeptieren.

Nun war er wieder auf freiem Fuß. Die ersten Jahre hatte er sich geschworen, den wahren Täter dingfest zu machen, sobald er „draußen“ war. Irgendwann aber war der Groll einer wohltuenden inneren Ruhe gewichen. Dem Wissen, dass das Universum Yin und Yang in Balance hält und dabei für Gerechtigkeit sorgt.

Als er, in diese Gedanken versunken, auf der Parkbank saß, näherte sich ihm eine Gestalt, die er sofort erkannte.
„Josef! Na das ist ja eine Überraschung“, entfuhr es ihm. Der Andere zuckte zusammen, blieb wie angewurzelt stehen und musterte ihn durch zu Schlitzen verengte Augen. Kein Wunder, dachte er. Ich bin grau und faltig geworden, meine Stimme klingt rau. Ich habe sie in den letzten Jahren zu wenig benutzt.
„Andi? Das gibt´s doch nicht. Du bist entlassen!?“, gab Josef sichtlich überrascht zurück.
„Komm setz´ dich her“, forderte dieser seinen alten Freund auf.
„Ich habe dich nie besucht.“ Josefs Bemerkung hing in der Luft und wartete auf Absolution.
„Schon gut“, antwortete Andreas, „warst in guter Gesellschaft.“
„Weißt du schon, was du jetzt machst?“, fragte Josef.
„Warum, hast du einen Job für mich?“, gab Andreas zurück.
„Deine ganze Gärtnerei, wenn du willst. Mir hat sie kein Glück gebracht“, flüsterte Josef.
„Wie, du hast damals meine Gärtnerei übernommen?“, entgegnete Andreas überrascht. Er war davon ausgegangen, dass Annette an den Platzhirsch verkauft hatte
„Nicht nur die Gärtnerei, auch deine Frau“, gab Josef kleinlaut zurück.

Andreas blinzelte, denn seine Augen verweigerten ihren Dienst und in seinen Ohren stellte sich tiefes Brummen ein.
„Wie meinst du das?“, fragte er schließlich.
„Ach Andi! Alle waren scharf auf deine Annette. Ich dachte, ich hätte es leicht, als tröstender bester Freund. Aber ich hatte die Rechnung ohne die Wirtin gemacht.“
Als Josef nicht weitersprach, fragte Andreas nach: „Und ich dachte du warst wirklich mein Freund? Du hast die Gärtnerei übernommen und meine Frau gev….“
„Nein! So war es nicht!“, beeilte Josef sich einzuwerfen.
„Sie hatte nur Augen für mein Geld und wollte die Gärtnerei loswerden. Da kam ich ihr gerade recht. Als das Geschäft perfekt war, ist sie mit Jessica auf nimmer wiedersehen verschwunden.“
Andreas Schultern hoben und senkten sich, erst leise, dann konnte er das schallende Lachen nicht länger zurückhalten.
„Sie hat dich auf´s Glatteis geführt. Das ist meine Annette!“ Ihm kamen die Tränen, so urkomisch fand er die Vorstellung.
„Du bist gar nicht sauer auf mich?“, wollte Josef, immer noch sehr kleinlaut, wissen.
„Warum sollte ich? Du hast mich ja nicht hinter Gitter gebracht.“
„Und wenn doch?“ Josefs stimme war jetzt so dünn wie der Faden eines Seidenspinners.
Andreas hörte augenblicklich auf zu feixen und durchbohrte Josef mit Blicken.
„Was versuchst du mir eigentlich die ganze Zeit zu erklären?“ Andreas, der sich im Gefängnis einen imposanten Körperbau antrainiert hatte, richtete sich auf der Parkbank zu voller Größe auf.
Josef sah ihn aus leeren Augen an: „Die Schüsseler war meine Tante. Ich hatte sie wochenlang bedrängt, mir finanziell aus der Patsche zu helfen. Ich war mit meinem eigenen Geschäft kurz vor der Insolvenz. An jenem Abend unternahm ich einen letzten Versuch, sie zur Unterstützung zu nötigen. Während der Auseinandersetzung stürzte sie unglücklich an der Treppe. Ich habe alles was ihr gehörte geerbt.“
„Warum hast du damals nicht ausgesagt, dass es ein Unfall war?“, presste Andreas hervor.
„Ich hatte Angst, dass sie mich trotzdem einsperren würden. Ich bin kein so harter Hund wie du Andi.“

Bevor er eine Chance hatte seine körperliche Reaktion zu kontrollieren, versetzte Andreas seinem ehemaligen Freund Josef auf der Parkbank einen Fausthieb gegen die Schläfe. Der kippte nach vorn über und blieb reglos auf dem Kiesweg liegen.
Andreas seufzte, sah sich nach allen Seiten um, strich mit den Handinnenflächen über den Stoff seiner Hosen und ging dann in das Café nebenan, um zu telefonieren. Er rief die Polizei und einen Krankenwagen. Für Josef kam allerdings jede Hilfe zu spät.

Die Beamten bahnten sich einen Weg durch die Menge der Schaulustigen, die sich inzwischen vor Josefs Leiche versammelt hatten. Ein Polizist befragte Andreas, wie es zu der Situation gekommen war. Andreas erzählte ihm mit feuchten Händen und einem Kloß im Hals, dass er gerade aus dem Gefängnis entlassen worden sei und sein guter alter Freund Josef ihn abgeholt habe. Er beschrieb, wie sie sich eine Weile auf der Parkbank niedergelassen und über die letzten zwanzig Jahre geredet hatten. „Und dann ist er plötzlich vornübergekippt und zu meinen Füßen liegengeblieben. Ist blöd mit der Schläfe auf die Randsteine der Gehwegbefestigung aufgeschlagen.“
Der Polizist machte sich Notizen und bat ihn, sich für weitere Befragungen zur Verfügung zu halten.
Andi vertrödelte den Rest des Tages wie im Nebel auf der Straße und fand sich am Abend bei seiner Schwester ein. Diese war überglücklich ihn zu sehen, erschrak jedoch, als sie hörte, was sich nach seiner Entlassung zugetragen hatte.
„Und du hast ihn wirklich nicht angefasst?“, erkundigte sie sich vorsichtig.
„Maria, ich war nie gewalttätig, vergiss das nicht. Ich habe auch die alte Schüsseler nicht umgebracht“, sagte er, um sie zu beruhigen.

Ein paar Wochen später läutete das Telefon seiner Schwester an einem Tag gleich zwei Mal. Zunächst meldete sich die Polizei, die mitteilte, man habe den Fall Josef Karl Bienweiler zu den Akten gelegt. Später rief ein Anwalt an, der Andreas unumwunden mitteilte, dass sein Freund ihn als Alleinerbe eingesetzt hatte. Man müsse sich dieser Sache wegen rasch zusammensetzen.

„Yin und Yang!“, rief Andreas aus und konnte ein Lachen nicht unterdrücken.
„Wie bitte?“, fragte der Anwalt.
„Vergessen Sie´s. Schönen Frühlingstag noch!“

ENDE

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