In dieser Kurzgeschichte wird eine Sanduhr getauscht.

Die Sanduhr – Eine Tauschgeschichte

Heidi Metzmeier Icon

Kennst du das Gambio-Projekt? Das ist eine Initiative der Autorin Sina Land. Es handelt sich dabei um eine Buchreihe, bei der  über die Zeit immer mehr Titel aus verschiedenen Genres dazukommen. Alle Geschichten drehen sich rund um den perfekten Tausch. Die Anthologien sind Spendenprojekte, das heißt alle Einnahmen gehen zugunsten gemeinnütziger Organisationen. Eine Idee, die es sich zu unterstützen lohnt, finde ich. Hier kannst du dir die bereits erschienenen Werke anschauen.

Sina hatte per Instagram zu neuen Tauschgeschichten aufgerufen. Das Thema hieß „Sanduhr“. Die Zeichenzahl war auf 200 Worte begrenzt. Das habe ich nicht ganz eingehalten. Hier also meine Variante der Ultra-Kurzgeschichte:

Winterflucht.
Meine Lieblingsinsel.
Der Traumstrand.
Ich bin hier ganz allein, stehe mit meinem Expeditionsmobil im goldgelben Sand.
Das türkisblaue Meer wirft heute hohe Wellen. Die weißen Schaumkronen umspielen meine nackten Füße.
Ich gehe am Wassersaum auf und ab, atme salzhaltige Mittelmeerluft, rieche den Duft von Olivenöl.
Es ist Erntezeit.
Bauern haben leuchtend rote Netze unter die knorrigen Bäume gespannt, die jenseits des Strands aufgereiht sind, wie Perlen an einer Schnur.

Beim nächsten Schritt stoßen meine Zehen an einen harten Gegenstand. Strandgut, denke ich und beuge mich nieder, um nachzusehen. Ein Stück Holz lugt aus dem Sand. Als ich daran ziehe, kommt ein Gebilde zum Vorschein, das ich nicht sofort erkennen kann. Erst als ich es mir direkt vor das Gesicht halte, sehe ich die Sanduhr. Sie ist fast abgelaufen.
Ein Schauer läuft mir über den Rücken, als in mir die Frage aufkeimt, ob es sich um meine Lebensuhr handelt.

Unvermittelt taucht eine Alte vor mir auf, mit wilden grauen Haaren und einem wallend-bunten Kleid.
Ich sehe mich verwirrt um. Die war doch eben noch nicht hier, schießt es mir durch den Kopf.

»Wollen wir tauschen?«, fragt sie unvermittelt.
»Was bekomme ich dafür?«, lautet meine Gegenfrage.
»Das Paradies«, antwortet sie.
»Aber da bin ich doch jetzt schon«, gebe ich – vielleicht eine Spur zu keck – zurück.
»Dieses hier ist endlich, meines nicht«, sagt sie mit einem frechen Lachen.
Ich denke kurz nach und strecke ihr die Hand mit der Sanduhr entgegen.

In dem Moment ertönt ein fieses Geräusch.
Ich muss blinzeln, um mich zu orientieren:
Montag, 7:30 Uhr.
Durch ein Fenster fällt graues Morgenlicht.
Es reget.
Der Beginn eines Arbeitstages im November.

Es wird Zeit, dass ich hier wegkomme!

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