Das Projekt Gambio hat ein neues Thema zur Kurzgeschichten-Challenge ausgelobt. Passend zur Jahreszeit soll in der Geschichte ein Sommerkleid getauscht werden. Mein Kopfkino sprang sofort an und die Szene hat sich im Schreibfluss fortentwickelt. Ich bin gespannt wie es dir gefällt.
Sie war zufrieden mit sich. Sonja hatte heute in der Werkstatt die Arbeiten am Oldtimer beendet, die Ihre Miete für die nächsten Monate zahlen würden. Nach einer kalten Dusche, die ihre Lebensgeister für den Abend weckte, schlüpfte sie in ihre Lieblings-Jeanslatzhose und sprang dann mit einem gekonnten Satz über die geschlossene Fahrertür in ihr historisches Cabriolet. Die Sommernacht war warm und es wehte ein lauer Westwind. Als sie die Straße am Meer entlang fuhr nahm sie für einen Moment beide Hände vom Lenkrad und reckte sie mit einem Freudenschrei in die Luft. Tausend Sterne funkelten von einem wolkenlosen Nachthimmel und sie berauschte sich an der Luft, die nach Tang und Sonnenmilch roch.
Dann sah sie ihre Schwester am Straßenrand.
Sie trug ein aufwändig mit Blumen und Schmetterlingen besticktes Sommerkleid. Den dazu farblich passenden Schal zog sie wie eine Schleppe hinter sich her. In der anderen Hand hielt sie ihre Schuhe. Sie ging barfuss und schwankte leicht. Als Sonja auf gleicher Höhe mit ihr war, sah sie das von Tränen aufgeweichte Gesicht ihrer Schwester.
„Hey Luisa! Komm, steig ein!“, rief sie ihr zu.
„Lass mich in Ruhe! Du hattest schon immer ein Gespür für den falschen Moment“, keifte diese zurück.
„Schwesterchen, jetzt sei nicht so stur. Du wirst dir Blasen an den Füßen holen, wenn du barfuß bis in die Stadt zurück läufst.“
Sie brauchte ihren Wagen zum Stehen, stieg aus, ging zur Beifahrertür und öffnete diese. Mit einer galanten Geste lud sie ihre Schwester ein, Platz zu nehmen. Luisa verschränkte ihre Arme vor der Brust, sah finster drein, nahm die Einladung aber schließlich an und ließ sich auf den Beifahrersitz gleiten.
Als sie eine Weile schweigend gefahren waren bemerkte Sonja:
„Du siehst so hübsch und doch so traurig aus. Magst du mir erzählen was passiert ist?“
Zunächst entwich ihrer Schwester nur ein Schnauben, doch dann entschied sie sich zu einer Erklärung.
„Erik hat mich beim Dinner für unseren Hochzeitstag versetzt. Ich kam mir so albern vor in diesem aufgedonnerten Fummel, ganz allein. Das ganze Restaurant schien voll von glücklichen Paaren in Feierlaune zu sein, die mir mitleidige Blicke zuwarfen. Nach über einer Stunde war die Sektflasche leer und ich hatte kein Wort von Erik gehört. Er ging nicht ans Telefon und antwortete auch nicht auf meine zahllosen Nachrichten. Da habe ich aufgegeben.“
„Hast du in Erwägung gezogen, dass ihm etwas zugestoßen sein könnte?“, fragte Sonja beunruhigt und gleichzeitig darum bemüht, ihrer emotional stark angegriffenen Schwester keine Vorwürfe zu machen.
„Wir teilen über unsere Mobiltelefone den Standort miteinander. Ich weiß also, dass er in der billigsten Bar der Stadt sitzt. Und er weiß, dass ich es weiß.“ Luisa seufzte. „Wir haben schon seit einiger Zeit Probleme. Offenbar bin ich nicht mehr sein Typ.“
„Wie meinst du das?“
„Na er weicht mir aus. Wir hatten schon lange keinen intimen Moment mehr.“
„Habt ihr Geldsorgen? Spielt er vielleicht? In dem Schuppen stehen viele Automaten. Es könnte doch sein, dass er sich schämt?“
„Im Gegenteil, meine Agentur läuft super, es geht uns finanziell so gut wie nie!“
Sonja seufzte. Das klang nach fetten Eheproblemen. Sie war froh, dass sie sich diese nie eingehandelt hatte, auch wenn sie in mancher Stunde bedauerte, allein zu sein. Vor allem dann, wenn sie in der Werkstatt ein zweites Paar talentierter Hände gut hätte gebrauchen können.
„Ich habe eine Idee!“ Luisa riss sie aus ihren Gedanken.
„Lass mal hören.“
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„Anton, machst du mir noch ein Bier bitte?“
„Dann kassiere ich jetzt aber besser deinen Autoschlüssel ein.“
„Meinetwegen, ich kann mich heute eh nicht mehr zu Hause blicken lassen.“
„Stress mit dem Hausdrachen?“ Anton lachte.
Erik hatte keine Lust zu antworten, denn er hatte sich die Situation selbst eingebrockt. Als er den Kopf hob, um zu sehen, wer gerade zur Tür hereinkam, verschlug es ihm den Atem. Ein Wesen nicht von dieser Welt in einem Traum von einem Sommerkleid betrat die Bar. Sie war so deplatziert, wie ein Schmetterling im Wespennest. Offenbar war sie sich dessen bewusst, denn ihr Gang schien angestrengt, als wäre sie in eine Verkleidung geschlüpft. Eriks Blick wanderte von unten nach oben. Als er beim Gesicht ankam stutze er. „Sonja? Was machst du denn hier?“
Diese fragte sich dasselbe. Warum habe ich dieser Rochade zugestimmt? Ihre bequemen Latzhosen gegen Luisas Sommerkleid einzutauschen war ein Fehler gewesen, den sie schon jetzt bereute. Sie drohte bei jedem Schritt über den Saum zu stolpern
„Hallo Erik“, sagte sie. „Wenn der Prophet nicht zum Berg kommt…“
„Hä? Seit wann hast du‘s mit der Bibel?“
„Was ich damit sagen will: Diesen umwerfenden Anblick hast du heute Abend beim Dinner verpasst.“
„Oh…“
„Mehr fällt dir dazu nicht ein?“
„Ach Sonja, es ist kompliziert. Ich hab‘s granatenmässig verbockt!“
„Das kannst du laut sagen. Wie wär’s wenn du ganz von vorne anfängst?“
„Ich kann das nicht mehr…“
„Was genau kannst du nicht mehr?“
„Sie ist zu perfekt für mich.“
„Wer, Luisa?“
„Ich meine…sieh dir dieses Kleid an, ich wette sie hat es selbst genäht! Sie hat einfach immer alles im Griff: Ihre Agentur, die Kinder, den Haushalt. Ich bin in diesem Szenario total überflüssig!“
„Hast du denn mit ihr mal darüber geredet?“
„Wann denn? Ich passe ja nicht mal mehr in ihren Terminkalender.“
„Ich würde sagen jetzt wäre ein guter Moment.“ Sonja schaute über ihre Schulter hinweg zur Tür, die sich in diesem Moment öffnete. Erik folgte ihrem Blick und lächelte verlegen, als er seine Frau im der Jeanslatzhose die Bar betreten sah. Unter dem ausgewaschenen Stoff kam die blanke milchweisse Haut ihres Oberkörpers zum Vorschein.
„Ich habe gehört, hier braucht ein Kerl eine Reparatur.“ Luisa zwinkerte ihrem Mann zu. Der drehte sich zur Bar und rief: „Anton, Bier für die Ladies von der Werkstatt.“
Sonja hob abwehrend die Hände. „Ihr habt jede Menge zu besprechen. Ich werde mal die Blumen und die Schmetterlinge ins Bett bringen.“
Als sie auf dem Weg zur Tür wieder einmal mit den Füßen im Saum hängenblieb, verlor sie die Balance, taumelte und erwartete jeden Moment der Länge nach hinzuschlagen. In letzter Sekunde wurde sie jedoch von zwei Händen aufgefangen, die nach einer Mischung aus Motorenöl und Kernseife rochen.
„Hey Blümchen, du hast dich wohl verirrt. Ich zeig dir mal besser den Weg zurück zur Wiese.“ Er hatte ein gewinnendes Lächeln. Als sie sich bei ihm untergehakte, zwinkerte ihre Schwester ihr durch den Raum hinweg zu.
Der perfekte Kleidertausch war ihr Einfall gewesen.
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Collage by Canva.