Das Autorengezumpel geht in die nächste Runde und wer mir hier schon etwas länger beim Schreiben über die Schulter schaut, hat mitgebkommen, dass meine Texte politischer werden. Das liegt nicht nur an meinem aktuellen Manuskript (#4frauenaufkreta), sondern auch an der allgemeinen Lage, die mich nicht kalt lässt. Meine Kurzgeschichte zum Herbst geriet wider Erwarten zu einer leicht futuristischen Dystopie. Ich bin gespannt, was ihr dazu sagt. Wer diskutieren möchte: Ich freue mich immer über Post meiner Lesenden!
Oktober 2035
Ich lasse seufzend meine Hände mit dem amtlichen Schreiben in den Schoß sinken und schaue über den Rand meiner Lesebrille hinweg aus dem Fenster. Draußen tanzen die gelben Blätter der Kastanie um den Baumstamm, als wollten sie mir ein Ständchen bringen.
Bescheid über die Höhe ihrer Rente – Nun bin ich also offiziell im Spätherbst meines Lebens angekommen. Bevor ich darüber nachdenken kann, wie ich das finde, klingelt es an der Tür. Das Erste was ich sehe, als ich das Sicherheitsschloss endlich entriegelt habe, ist ein überdimensionaler Herbststrauß, mit Chrysanthemen, Hortensien und Lilien. Die Arme, die ihn umfassen, gehören meiner Tochter Klara.
„Ich weiß, dass dir heute nicht nach Feiern zumute ist, daher dachte ich, eine kleine Aufmunterung kann nicht schaden.“
Mit Blumen, die getötet wurden, statt sie wild wachsen zu lassen sicher nicht, denke ich, aber ich schlucke den Kommentar herunter, sie meint es gut. Augen auf bei der Erziehung…
„Danke Liebes“, sage ich stattdessen und nehme den wunderbar duftenden Strauß entgegen. „Lass uns in die Küche gehen, diese Geschöpfe brauchen dringend Wasser.“
„Weißt du schon, was du mit deiner neuen Freiheit anfangen wirst?“, fragt Klara wenig später, während sie zwei Tassen aus dem Küchenschrank holt. Ihre Wahl fällt immer auf dieselben Motive: Die Mugs mit den Fotos unserer beiden Hunde Bambi und Bolle, die ihre Kindheit über weite Strecken begleitet haben.
Ich fülle die Tassen mit heißem Wasser und hänge Teebeutel mit Lavendel hinein. Gedanklich bleibe ich am Begriff Freiheit hängen. Seit die extreme Rechte im Land die Führung übernommen hat, ist das Wort zu einem Relikt verlorener Zeiten geworden.
„Erde an Mama!“
„Sorry Schatz, was war nochmal die Frage?“
„Nicht dein Ernst, ich muss mir doch keine Sorgen machen, dass du jetzt schon dement wirst?“
„Na hör mal!“, rufe ich in gespielter Erregung.
„Ich wollte wissen, was dein neuer Lebensplan ist?“
„Ach das…“ Ich winke ab. „Einfach weitermachen wie bisher, schätze ich. Nur dass ich jetzt ehrenamtliche Querulantin bin.“
Klara seufzt. „Mama, ich habe dich immer dafür bewundert, dass du dich von niemandem hast verbiegen lassen, auch nicht, nachdem man offiziell dazu aufrief, die letzten Vertreter der freien Presse zu jagen. Aber unsere faschistoide Regierung ist zu allem fähig. Du bringst mit deinem Widerstand uns alle in Gefahr, auch deine Enkelin. Machst du dir das manchmal bewusst?“
„Kind, ich weiß wie sehr du dir ein beschauliches Leben wünschst, aber dieses Land hat sich – wider besseres Wissen – erneut auf den Pfad zur Hölle begeben. Ich kann nicht dasitzen und zusehen, wie alles woran ich glaube den Bach runtergeht.“
„Aber was, wenn sie Ernst machen?“
„Dann werde ich mich fühlen wie die Flüchtige, deren Unterkünfte in Flammen aufgehen. Herrgott Klara! Wenn wir alle bloß dasitzen und hoffen, dass irgendwann der Messias kommen wird, um uns zu retten, werden bald keine gescheiten Köpfe mehr übrig sein, ihn überhaupt zu erkennen.“
„Und wenn wir weggehen?“ Klaras Stimme ist jetzt leise und brüchig. Ich überfordere sie – wie jedes Mal. Sie ist keine Kämpferin, sondern hat die empfindsame Seele ihres Vaters.
„Liebes, wenn du mir einen Platz zeigst, an dem meine Enkelin sicher ist, sich ungehindert von politischen Wirren und Klimakatastrophen entwickeln kann, dann gehen wir – morgen schon.“
Sie weint und ich wünschte, ich könnte sie trösten, aber die Kluft zwischen uns ist unüberbrückbar. Ihre Zuflucht war stets Walter gewesen. Er fehlt.
„Vorschlag! Wenn sie mich ausreisen lassen, fahren wir zu Weihnachten nach Norwegen. Dann zeige ich meiner Enkelin den Weihnachtsmann und dir die Nordlichter.“
„Das wäre wunderschön.“
Im Schweigen das folgt liegt die Gewissheit, dass es dazu wohl nicht kommen wird. Klara umarmt mich zum Abschied und wirft mir einen letzten flehentlichen Blick zu. Ich kann es ihr nicht verdenken, sollte sie sich eine andere Mutter wünschen. Sie hatte keine Wahl, ebenso wenig wie ich. Als sie in ihrem Auto davonfährt winke ich ihr nach.
Dann fällt mein Blick auf den Kleinbus, der um die Ecke biegt. Ich muss nicht lange überlegen welches Ziel er anpeilt. Die DeStaPo arbeitet flink und effizient.
„Ich verhafte sie wegen des Verdachts auf Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“, brüllt mir der Uniformierte auch schon entgegen.
„Sie hätten euch und das ganze rechtspopulistische Pack verbieten sollen, solange noch Zeit dazu war“, zische ich zurück, bevor die Tür des Busses krachend vor meiner Nase ins Schloss fällt. Der Innenraum ist ausbruchsicher mit einem Käfig ausgestattet. Als ich mich umdrehe, schaue ich in zahlreiche kampfeslustige Augenpaare meiner Mitstreitenden.
Überlebt der Widerstand? Werden die Menschen rechtzeitig wach für die notwendigen Veränderungen dieser Zeit? Lasst uns nicht warten bis 2035, um es herauszufinden!