In diesem Blogbeitrag beschreibe ich den zweiten Teil meiner Atlantikreise durch Spanien und Frankreich

Stadt, Land, Fluss – Heidi unterwegs am Atlantik (Teil 2)

Heidi Metzmeier Icon

Es riecht nach Regen, zum ersten Mal seit Wochen. Die Landschaft ist hügelig, sehr grün und die Küste flach, das Wasser wild. Auf den Wiesen grasen Pferde. Im Hintergrund läutet eine Kirchenglocke. Der Wanderweg vor uns ist stark frequentiert. Es ist Hochbetrieb auf dem Camino de Santiago. Pilger werden hier in Nordspanien für die nächsten Wochen unsere ständigen Begleiter sein. Ich nutze die Fahrpause, um das letzte Kapitel meiner Reisegeschichten für das Projekt „Fünf Frauen, eine Leidenschaft“ zu schreiben. Die Atmosphäre inspiriert mich.

Der Wind nimmt zu, die Wolken werden dichter und der Himmel verdunkelt sich. Dann prasseln die ersten Tropfen auf das Dach des Land Rover. Die Erleichterung durch die fallenden Temperaturen hält aber nur für einen Moment, denn der kurze Regen wirkt wie ein Aufguss. Ich habe Mitleid mit den Wanderern.

Galizien

Wir suchen uns für die Nacht ein einsames Plätzchen direkt an der Küste bei Baiona. Wild campieren, stellen wir fest, ist in Spaniens Norden problemlos. Der Ort ist schmuck gelegen, hat ein großes Fort, das die Bewohner morgens zum Frühsport nutzen. Wir reihen uns ein in die Jogger, die das Fortaleza de Monterreal einmal umrunden. Dabei genießen wir die Ausblicke auf das Meer.

Am Hafen liegt eine Nachbildung der „Pinta“, der Karavelle mit der Christoph Kolumbus seinerzeit unterwegs war, um Asien zu entdecken und Amerika zu finden. Genauer gesagt war es eines seiner drei Schiffe. Die Santa Maria ist das bekannteste. Die Pinta war, so will es die Gerüchteküche, sein Liebling. Als ich das Schiff besteige staune ich: es ist so winzig. Kaum zu glauben, dass hier genug Platz war für Besatzung und Proviant, ganz zu schweigen von den Kuriositäten, die man auf dem Rückweg mit nach Spanien brachte, einschließlich „Indianern“.

Unser Wüstenschiff zeigt derweil erste Eigenwilligkeiten. Die Lampe für den Anhänger leuchtet immer mal wieder auf. Nur, dass wir gar keinen Anhänger haben, nicht einmal eine Anhängerkupplung! Jedes Mal wenn das passiert, fällt der Blinker aus. Dann halten wir den Arm aus dem Fenster. Peter sucht tagelang nach dem Fehler. Schließlich zieht er den Steckerkontakt. Das löst das Problem.

Am Hafen von Meira ist heute Volksfest. Hier bleiben wir! Im Restaurant gibt es leckere Tapas. Im vorgelagerten Meer liegen Reusen für die Zucht von Krustentieren. Nicht dutzende, nein hunderte. Bei den Spaniern ist offenbar alles was gezüchtet werden kann, auf große Mengen ausgelegt. Im Park spielen Erwachsene Geschicklichkeitsspiele. Sie werfen mit kleinen Bällen nach Metallstäben, die in einiger Entfernung auf der Wiese aufgestellt sind. Die Rasenvariante vom Kegeln. Direkt nebenan ist ein Agility-Parcour für Hunde. Da geht es den ganzen Tag sehr geschäftig zu. Hunde aller Größen und Rassen werden durch Röhren gejagt, über Brücken und Wippen geführt und müssen Hürden nehmen. So mancher stellt sich etwas bockig an, sehr zum Leidwesen seines Herrchens. Die Spanier scheinen diesen Wettbewerb sehr ernst zu nehmen.

Am äußersten Zipfel der Halbinsel liegt Cabo Home. Zum ersten Mal auf der Reise kein Internetempfang! Ich genieße es. Wir postieren uns direkt an den hohen Klippen, auf dem unbefestigten Parkplatz der Ausflugsgaststätte. Dann packen wir unsere Rucksäcke für eine Wanderung zu den vier Leuchttürmen am äußersten Zipfel der Halbinsel. Diese sorgen dafür, dass Schiffe nicht auf die Felsen der Halbinsel auflaufen, die hier so vorwitzig und verzweigt ins Meer ragt. Wir gehen auf schmalen Pfaden durch Nadelbaumwald, an blühenden Blumen und Sträuchern vorbei. Bruno hat sehr viel Spaß und fügt seiner Geruchsbibliothek einige neue Seiten hinzu. An den Leuchttürmen angelangt, schauen wir den Segelbooten im Wasser zu. Ein paar Jogger kommen an, die selbst bei dieser feuchten Hitze trainieren. Sie laufen zum Strand, der hier feinsandig, leicht ins türkisblaue Meer abfällt, werfen alle Kleidungsstücke von sich und springen ins Wasser. Das ist insofern ungewöhnlich, als der Atlantik an dieser Stelle wirklich sehr kalt ist. Ich teste die Temperatur mit dem Zeh und entscheide mich gegen ein Bad.

Im Herzen der Pilgerseele

Wir erreichen Santiago de Compostela, den Ort, der für unsere Pilgerung damals, mit Hund, unerreichbar schien. Die historische Stadt leistet sich einen riesigen Campingplatz, der in Terrassen angelegt ist. Wir wählen den Stellplatz ganz oben unter Eukalyptusbäumen.

Die Altstadt erreichen wir über einen zwei Kilometer langen Fußmarsch. Der Bus nimmt uns mit Hund nicht mit. Das Zentrum der Stadt ist riesig, voller verwinkelter Gassen und vielen Reminiszenzen an eine reiche Kirchengeschichte. Der Vorplatz der Kathedrale birst vor Emotionen. Pilger unterschiedlicher Nationen liegen sich in den Armen, glücklich, ihre Reise zum Zielpunkt geführt zu haben. Fröhlich tanzende bunte Rucksäcke. Gesang. Tränen der Freude. So mancher ist gezeichnet von den Strapazen der langen Reise, müde, humpelnd, mit angelegtem Verband, aber beseelt.

Wir nehmen das alles in uns auf, bis der nächste Regenguss uns unter einen Schirm zwingt. Viel Zeit zu schauen. Jetzt fallen uns die Schattengesichter ins Auge: Gestrandete, Verwirrte, Alkoholiker, Junkies. Menschen die nichts mehr zu besitzen scheinen, als die Kleider am Leib und den nassen Schlafsack unter dem Arm. Ich frage mich, was sie an diesen Punkt gebracht hat.

Am Campingplatz nehme ich im Waschhaus gerade eine Dusche, als eine andere Deutsche hereinkommt. Sie führt ein Selbstgespräch: „Ich möchte einfach nur mal für fünf Minuten meine Ruhe haben! Ist das zu viel verlangt?“ Es ist offensichtlich, dass sie mit ihren Nerven am Ende ist. Ich stehe derweil unter dem Wasserstrahl und raschele mit meinen Arm- und Fußkettchen. Es kommt wie es kommen muss. Sie fragt in den Raum hinein: „Was ist das eigentlich für ein Scheiß-Gebimmel?!“ Ich antworte nicht. Aber nach dieser Episode dreht sich mein Gedankenkarussell. Wie haben wir es uns in unserer Gesellschaft eingerichtet, dass so viele emotional am Limit sind?

Zurück in die Altstadt Santiagos. Tanztheater auf dem Vorplatz einer Kirche. Das Thema ist Liebe-Schmerz-Trennung-Versöhnung. Wir schauen nacheinander zwei Duetten zu, die das Thema auf sehr unterschiedliche Weise interpretieren. Vor der körperlichen Leistung haben wir größten Respekt. Die Performance ist dynamisch, schonungslos zu den nicht mehr ganz so jungen Körpern und sehr ergreifend. Wir sind zu Tränen gerührt, fühlen uns privilegiert, dies hier unter freiem Himmel anschauen zu dürfen. Ein paar Straßen weiter liefert „die Callas“ eine Gesangseinlage ab, als trüge sie vor vollen Rängen vor. Große Bühnenkunst. Ihr Timbre bringt die Arkaden ringsum zum Klingen. Ihre Einlage ist als Einladung ins Theater zu verstehen.

Erst nach drei Tagen können wir uns von hier loseisen.

Am Morgen der Abreise höre ich bei der Gymnastik im Gras ein seltsames Geräusch aus dem vorderen rechten Reifen unseres Geländewagens. Das Ventil scheint Luft zu verlieren. Nicht gut! So fahren wir bei erstbester Gelegenheit eine Werkstatt an, die auf Reifen spezialisiert ist. Der junge Mitarbeiter, der auf die Reparatur angesetzt wird, hat offenbar noch nie einen Land Rover zu Gesicht bekommen. Peter muss ihm immer wieder Anweisungen geben, damit hier nicht kaputtrepariert wird. Nach 30 Minuten ist das Ventil aber ausgetauscht und die Sache damit erledigt. Weiter geht´s!

Wir fahren auf die Autobahn, das erste Mal seit Wochen. Der Plan ist ein gutes Stück voranzukommen. Landy findet, das ist keine gute Idee, sackt in einem Tunnel hinten links in sich zusammen. Wir schaffen es ins Freie und gerade noch auf den Randstreifen. Wir haben einen Platten! Leider auf der ungünstigen, der Fahrbahn zugewandten, Seite. Wie ich es in der Fahrschule gelernt habe streife ich mir die Warnweste über und jogge mit dem Warndreieck ein paar hundert Meter zurück, um andere Fahrzeuge auf uns aufmerksam zu machen. Dann renne ich wieder zum Landy. Ab hier läuft es nicht mehr wie in der Fahrschule, denn die Situation erfordert etwas anderes, als sich ruhig hinter die Leitplanke zurückzuziehen. Ich schnappe mir die in grellem Orange leuchtende Verpackung des Warndreiecks und benutze sie wie eine Polizei-Kelle, um Fahrzeuge auf der rechten Fahrspur dazu zu bewegen, die Fahrbahn zu wechseln. Peter zieht derweil den Ersatzreifen auf. Weil aber einzelne Autofahrer mein Gewedel übersehen, oder ein Überholmanöver im Gange ist, rufe ich ihm immer wieder zu, dass er die Fahrbahn verlassen muss. So kommen wir nur mühsam voran. Ein einziges Wohnmobil hält an, um seine Hilfe anzubieten. Weil wir aber um die Sicherheit des Fahrers besorgt sind, schicken wir ihn weiter. Nach einer guten halben Stunde sitzen wir wieder im Auto und fahren an der nächsten Ausfahrt ab, um den Reifen mit dem Kompressor auf den richtigen Druck einzustellen und das Chaos im Wageninneren zu beseitigen. Bruno guckt derweil besorgt von einem zum anderen. Wir fragen uns auch, was die Panne verursacht haben mag. Tage später stellen wir an einer Tankstelle mit Luftdruckgerät das Loch sicher. Es ist recht groß, aber mit unserem Flickset immer noch zu stopfen. Peter zeigt mir wie man das macht. Die Lehrstunde ist nett, aber ich hoffe, dass das Reifenthema für diese Tour nun durch ist.

Entlang der grünen Küste

Landy hat sich den perfekten Ort für die Panne ausgesucht. Luarca an der asturischen Küste ist ein kleines Städtchen, das sich den Charme eines Fischerdorfs – zumindest im Ortskern – erhalten hat. Das Zentrum schlängelt sich in einer S-Kurve um den Rio Negro. Ringsum ragen steile Klippen empor. Luarca hat einen natürlichen Meereshafen und zahlreiche Strände. Der Caravanstellplatz hoch über dem Ort liegt am historischen Bahnhof. Man überblickt auf einer Wiese stehend die gesamte Stadt und schaut bis weit auf das Meer hinaus. Die Gleise der Bahn, die hier nur zwei Mal täglich durchkommt, führen über ein altes, in sehr hohen Bögen den Ort weit überspannendes Viadukt. Auf dem Weg ins Zentrum kommen wir an einem Firmengelände der Druckerei „Rio“ vorbei. Ein Lost Place der besonderen Art. Die Dächer der Industrieanlage sind eingestürzt, aber die Druckmaschinen sind noch da, ebenso wie die Leitz-Ordner für die Ablage in den Regalen. Irgendwo liegt ein aufgespannter Schirm umgekehrt im Staub. Das alles sieht eher nach einem überstürzten Aufbruch aus, als nach einem geplanten Firmenrückzug.

Peter möchte Fisch kaufen, aber das Navi schickt uns ins alte Fischerwohnviertel. Auch hübsch. Die winzigen weißen Häuser stehen dicht gedrängt am Hügel. In den engen Gässchen dazwischen schleichen Katzen um Blumenkübel. Wir fragen einen älteren Herrn nach der Pescaderia. Er klärt uns auf, dass es Montags keinen Fisch gibt. Sonntags haben hier auch die Fischer frei…Einen Tag später finden wir einen freundlichen Herrn der uns den Weg zum Fischgeschäft weist und Peter konstatiert umgehend, das sei die beste Fischtheke des Atlantik. Er versorgt uns mit allerlei Köstlichkeiten und wir grillen am Caravanstellplatz, wo Grillstellen für die Gäste bereitgestellt sind.

Auf dem weiteren Weg gen französischer Grenze passieren wir noch einige Orte mit viel Flair, schönen Stränden und bizarren Küstenlinien. Aber ich muss zugeben, dass ich mit Spanien nicht wirklich warm werde. Ob es daran liegt, dass mir Spanier immer einen Tick zu laut sind, oder wir noch viel Küste vor uns haben, bei schwindenden Zeitreserven, weiß ich nicht genau zu sagen. Jedenfalls rauschen wir an vielem vorbei, was wahrscheinlich einen zweiten Blick wert gewesen wäre, einschließlich der, von der Autobahn aus, an ihren schneebedeckten Wipfeln erkennbaren Picos de Europa.

Frankreich die Zweite

In Frankreich angekommen fühle ich mich direkt zu Hause. Das mag auch daran liegen, dass ich die Sprache verstehe und bei der Speisekarte nicht mehr raten muss.

In Ciboure, in der Nähe von Biaritz, glitzert das Meer in der untergehenden Abendsonne. Der Fels fällt sehr steil ins Meer ab. Schilder mahnen die Besucher, der brüchigen Kante nicht zu nahe zu kommen, was aber weder Touristen noch Einheimische davon abhält, sich auf dem warmen Gestein niederzulassen und dem Schauspiel zuzusehen, bis der rote Feuerball hinter dem Horizont verschwunden ist.

Am folgenden Morgen geht Peter mit Bruno in die Stadt, während ich AIDAradio ein Interview gebe. Danach schließe ich zu den beiden auf. Am Hafen stürzen wir uns kurzerhand ins Meer. Kaum hat der Wind unsere Haut getrocknet, werden wir auch schon wieder nass. Ein Platzregen hat eingesetzt. Das Wetter ist für mich kaum vorhersehbar und ändert sich so schnell, dass ich nicht hinterherkomme. Wäsche waschen wird zur Lotterie, aber diesmal habe ich Glück. Die Front ist schon durch, als wir unsere Leinen aufspannen.

An Arcachon fahren wir vorbei, obwohl ich die Dune de Pilat gerne gesehen hätte. Leider wird Touristen dort immer wieder das Auto aufgebrochen. Darauf haben wir wenig Lust, also weiter. Vor Cap Ferret, am Plage de Taussat-les-Bains haben wir unser nächstes Ziel gefunden. Wir stehen auf einem kleinen Parkplatz am winzigen Hafen, der durch eine Reihe niedriger Gebäude vom Meer getrennt ist. Wobei das Meer sich gerade rar macht. Die Boote liegen auf dem Trockenen. Ein interessanter Anblick. Wir machen einen langen Spaziergang über den feuchten Meeresboden. An der Küste stehen mehrere Villen, aus denen Partygeräusche zu uns herüberdringen. Ein Live-Band übt ihre Songs, die Sängerin hat eine warme, weiche Stimme. Nebenan tagt die Jugend, es dominieren Clubmusik und Lounge. Immer mehr Menschen kommen aus den Gärten an den Strand und tanzen ausgelassen. Das Meer erobert derweil zentimeterweise sein Territorium zurück. Die Sonne malt honiggoldene Kleckse in die sich bildenden Pfützen. Boote spiegeln sich darin.
Auf dem Rückweg folgen wir einer weiteren Geräuschkulisse. An der Straße hat ein Alleinunterhalter seine Anlage aufgebaut. Er spielt für Restaurantbesucher. Er ist ein recht origineller Vertreter seiner Zunft und bringt die Gäste dazu, auf dem Bürgersteig zu tanzen. Die ausgelassene Stimmung reißt uns förmlich mit.

Die Luft ist voll von Pinienduft. Diese Bäume stehen hier über 200 km entlang „Les Landes“. Was wunderschön aussieht, kann fatale Folgen haben. Denn wenn es brennt, brennt alles auf Kilometer, lichterloh. Übrig bleiben schwarze Schatten, die ihre Arme anklagend in den Himmel erheben. Wir setzen unsere Reise schweigend fort.

Dann zur Abwechslung einmal wieder Einkehr bei einem Winzer, der sich dem System „France Passion“ angeschlossen hat. Er erzählt uns, dass es die Weinbauern der Gironde immer schwerer haben, denn es wird zunehmend mehr angebaut. So viel, dass das Angebot die lokale Nachfrage übersteigt. Man muss sich also etwas einfallen lassen. Er ist stolz, dass er in der sechsten Generation der Erste seiner Familie ist, der vom Weinanbau leben kann. Offenbar ist er findiger als seine Kollegen, denn er verkauft seine Weine bis nach Afrika und China. Die Mühle, die dem Weingut seinen Namen gibt, hat er außerdem zu einer Unterkunft umgebaut, die er über Airbnb vermietet.

Ich muss lachen, weil ich Frankreich kennengelernt habe als eine Nation, die versucht, Anglizismen aus ihrer Sprache herauszuhalten. Nun sich wir schon mehrfach im Supermarkt an „Le Drive“ vorbeigekommen. Ich verstehe erst gar nicht was das bedeuten soll, bis uns klar wird, dass Franzosen hier ihre Einkäufe abholen. Die Sinnhaftigkeit erschließt sich uns allerdings nicht, denn die Menschen stehen über lange Zeit neben ihrem Auto, bei offenem Kofferraum und warten darauf, dass ein Mitarbeiter ihnen bringt, was sie zuvor als Bestellung aufgegeben haben. Was bei einem Schnellrestaurant noch leidlich gut funktioniert ist hier offenbar ein Marketing-Trick, der kaum Zeit spart.

Nach La Tremblade kommt man, weil man Austern essen will. Nun vertragen wir ja beide leider keine mehr. Aber es gibt auch Palourdes- und Bouchot-Muscheln zu kaufen. Wir beziehen sie frisch von einem Händler. Die Fischerhütten sind hier wie Perlen auf einer Schnur entlang des Kanals aufgereiht. Manche hübsch renoviert, manche alt und windschief. Am Ende der engen Gasse geht es nicht mehr weiter. Hier auf dem Parkplatz bereiten wir im Land Rover unsere Muscheln zu. Das führt zu lustigen Unterhaltungen mit den Franzosen, weil wir die Heckklappe geöffnet haben und man uns beim Kochen und Essen zusehen kann. Die beste Szene entfaltet sich aber etwas abseits: Zwei Franzosen schauen aufs Wasser. Link neben ihnen ist ein Holzbrett für Plakate angebracht. Von dort lächelt die „blonde Hexe“ (wie Peter Marine le Pen nennt) allen zu, die vorbeischauen. Einer der beiden dreht sich plötzlich um und reißt das Plakat in Stücke. Wir können nicht anders, als zu applaudieren. Zunächst scheint der Mann darüber gar nicht erbaut zu sein, weil er sich unbeobachtet wähnte. Aber dann huscht ein verschmitztes Lächeln über sein Gesicht.

Bist du schon einmal durch eine Furt im Meer gelaufen? Ich auch nicht, bis wir nach Port-de-Barques kamen. Das Interessante an diesem Ort ist die vorgelagerte Insel Ille Madame. Diese erreicht man bei Ebbe zu Fuß über einen befestigten Weg, den auch Autos befahren können. So kommen die Inselbewohner trockenen Fußes nach Hause. Aber eben nur bei Ebbe.
Besonders an diesem Stück Atlantik ist, dass der Meeresgrund sehr hügelig ist und grüne Büsche rechts und links der Furt verteilt stehen. Was mich aber völlig umgehauen hat war der Sonnenuntergang, denn die Sonne versinkt postkartenreif hinter der Insel. Man läuft direkt auf den roten Feuerball zu, und das in den Nachtstunden, denn zu dieser Jahreszeit legt sich die Sonne erst um 22.30 Uhr schlafen. Ein Anblick, an den ich mich sicher noch sehr lange erinnern werde.

Und gleich noch eine Frage: Warst du schon einmal auf einem Transbordeur? Klingt ein bisschen wie „Raumschiff Enterprise“. Um das Geheimnis zu lüften: Das ist eine Schwebefähre. Die letzte französische bringt bei Rochefort Fußgänger und Fahrradfahrer über die Charonte. Weltweit sind nur noch sieben Stück in Betrieb, die älteste in Bilbao. Der Anblick ist faszinierend, denn das Gestell, das den Fluss überspannt, hat „Eifelturmoptik“. Am oberen Gestänge hängen Seile, die zusammen eine Plattform halten. Sie bewegt sich vor und zurück an Rollen, ohne das Wasser je zu berühren. Es sieht aus wie im Marionettentheater. Früher schwebten sogar bis zu 12 Autos auf einmal über den Fluss. Man nannte die Anlagen passenderweise Hängeschiffe.

Die Bretagne

Wir erreichen die Geronde. Hier kommt das leicht graue Meersalz her, das so einen guten Ruf genießt. Wir sehen, wie es in viereckigen Becken, in denen das Meerwasser von der Sonne getrocknet wird, als Rückstand zurückbleibt und mit Rechen entnommen wird.

Am 21.06. wird in ganz Frankreich „Fete de la Musique“ gefeiert. Überall spielen Bands, Gruppen oder Solisten. Wir sind gerade im sehr schnuckeligen Ort Douarnenez. Auf der Bühne stehen „Kid Rock“. Das Durchschnittsalter beträgt geschätzte 13 Jahre, den Musiklehrer ausgenommen. Die fetzen vielleicht! Sie haben die Hard Rock Klassiker drauf und spielen E-Gitarre, Keybord und Schlagzeug wie die Teufel. Der Sänger ist noch keinen Meter hoch und schreit ins Mikro wie ein Großer. AC/DC würden es nicht besser machen. Um die Ecke ist eine irische Kneipe. Kontrastprogramm. Zwei Menschen am Schifferklavier. Eigentlich schön, aber sie kommen gegen Kid Rock nicht an, so entsteht eine Kakophonie, bei der selbst der Schaum auf dem Guinness sich zurückzieht.

In Saint Renan übernachten wir zur Abwechslung an einem See. Bruno freut sich, weil es hier Fische und Enten gibt, denen er hinterherspringt. Das Örtchen bleibt mir in Erinnerung wegen seines Waschplatzes. Hier lerne ich, dass die Waschfrauen nach Hierarchien ihre Plätze einnahmen. Vorne nahe der Quelle durften sich die Wäscherinnen postieren, die für den Adel arbeiteten, dann folgten die Angestellten des burgeoisen Mittelstands und am hinteren Ende, wo das Wasser schon nicht mehr ganz so sauber war, wuschen die einfachen Frauen. Die Zusammenkunft entsprach der Dorfzeitung. Hier wurde der neueste Klatsch und Tratsch ausgetauscht, gelegentlich auch Geschichten erfunden. Wenn es Streit gab der eskalierte, flog auch schon mal eine der Damen in eines der sieben Becken. Ich lache schallend, als ich mir dieses Treiben vorstelle.

Auf dem Weg zum Aber Illdut (Aber bedeutet so viel wie Fjord oder Flusslauf), der hier am äußersten Zipfel der Bretagne ins Meer mündet, sehe ich meinen ersten Menhir. Das sind riesige Steine, die in der Landschaft liegen, oder aufrecht stehen. Dieser hier mitten in einem Maisfeld. Sie wurden vor ca. 6000 Jahren aus Felsen geschlagen und geschliffen. Man kann über ihre Bedeutung heute nur spekulieren. Ihre Ausmaße sind imposant. Es muss unglaubliche Kraftanstrengung gekostet haben, sie hier her zu transportieren und aufzurichten.

In Lanildut sehen wir Lastwagen voller Algen. Sie werden von hier aus zur verarbeitenden Industrie transportiert, landen hauptsächlich in Kosmetika. Wie sie so über die Ladefläche des LKW baumeln, dreckig, zerfetzt und halb vertrocknet, kann ich mir allerdings nicht vorstellen, dass die Creme daraus positive Wirkung auf meinen Körper haben soll.

Auf der Weiterfahrt entdecken wir am Hafen ein Schiff, das „no name“ heißt. Es wurde zum Restaurant umfunktioniert. Kaffee und Karottenkuchen klingen nach einem Versprechen das eingelöst werden will. Bruno lassen wir derweil im Auto zurück. Ebenso wie unseren Wasserfilter, der bei der letzten Befüllung unseres Frischwassertanks im Einsatz war und nun getrocknet werden muss. Er ruht auf der Motorhaube. Der Ausblick vom Deck ist hübsch, auch hier liegen die Boote alle auf dem Trockenen. Beseelt fahren wir weiter, bis uns ein Auto überholt und Zeichen gibt wir sollen anhalten. Die Insassen versuchen uns zu erklären, es sei gerade etwas von unsrem Auto an ihnen vorbeigeflogen. Wir können uns keinen Reim darauf machen und fahren erst einmal weiter. Als wir jedoch am nächsten Strand zum Halten kommen fällt mir der Filter wieder ein. Wir kehren um und suchen den Straßenrand ab. Nach einer Weile finden wir tausend kleine Keramikscherben im Graben. Das war also ein 150 Euro Karottenkuchen!

Die Küste ist nun wie gemalt: Pferde auf grünen Wiesen vor dem Meer, weiße Leuchttürme auf kleinen Inseln im Meer, große schwarze Steine übereinandergetürmt. Wir finden ein traumhaftes Wildcamp direkt am Aber Illdut. Er meandert durch grüne Wiesen und Seegras. Plötzlich ändert er die Fließrichtung. Die Wassermenge nimmt zu. Peter kommt nicht darüber hinweg. Das Meer drückt gegen den Fluss und gewinnt die Oberhand. In den Abendstunden werden die Vögel aktiver, auch Schmetterlinge umflattern uns. Frösche quaken. Dann stimmen Zikaden mit ein. Der perfekte Ort. Auch Bruno ist fasziniert und möchte gar nicht mehr ins Auto. Am Morgen – der Wasserstand des Aber ist immer noch hoch – kommen zwei Kanus vorbei, während wir frühstücken. Am gegenüberliegenden Ufer hören wir Stimmen von Wanderern, Deutsche!

Diese Abgeschiedenheit gefällt uns so gut, dass wir es am nächsten Tag mit dem Flüsschen La Pennele gleich noch einmal versuchen. Mein Kartenprogramm weist einen schmalen Weg aus, der direkt zum Fluss führen soll, dann über eine Brück und auf der anderen Seite entlang, bis er wieder auf eine Nationalstraße trifft. Dort sollte sich doch ein schöner Übernachtungsplatz finden lassen. Nur, dass der Weg schon bald zu einer Art Hohlweg wird. Landy hoppelt bergab. Dann wird die Piste immer schmaler, bis sie einem Fußweg gleicht. Glücklicherweise ist das Grün rechts und links nicht so störrisch, dass wir es mit dem Gewicht unseres Land Rover nicht bewegen könnten. So dringen wir tatsächlich bis zum Fluss vor. Hier ist allerdings endgültig Schluss, denn die Brücke ist lediglich für Fußgänger geeignet. Peter wendet den Wagen und wir parken direkt am Flusslauf. Herrlich! Von hier aus unternehmen wir eine kleine Rundwanderung durch den angrenzenden Wald. Wir gewinnen den Eindruck, dass hier schon länger niemand mehr unterwegs war. Am nächsten Morgen werden wir allerdings eines Besseren belehrt. Kaum dass wir aufgestanden sind, kommen schon die ersten Wanderer vorbei, die unser Camp ungläubig anstarren. Ich lasse mir das Bad im eiskalten Fluss allerdings nicht nehmen. Darauf hatte ich mich in der Hitze der Nacht so gefreut. Danach machen wir uns schleunigst auf den Rückweg.

Nun also Dinan. Der Ort ist bekannt für seine alten Fachwerkhäuser, seinen pittoresken Freizeithafen, das Fort und den über allem thronenden Viadukt. Als Camper kann man sich hier auf einer riesigen Wiese am Fluss niederlassen, was aber bedeutet, dass man zur Stadt steil aufsteigen muss. Den schmalen Weg erklimmen wir, als es schon dunkel wird, vorbei an altem Fachwerk mit riesigen Balkonkonstruktionen und zerbrechlichen Fenstern. Die Farben reichen von braun über grün bis zu rot. Es ist ein buntes Durcheinander, ohne kitschig zu sein. Unversehens befinden wir uns im Zentrum und folgen unserer Nase. Der Plan ist, noch auf ein Gläschen Wein einzukehren. Die Wahl fällt auf eine kleine Vinothek, die einfache Speisen anbietet. Ein Volltreffer. Der französische Besitzer, der mit einer Frau aus Venezuela verheiratet ist, hat nicht nur Geschmack, was die Weinauswahl angeht, sondern beide haben auch ein Händchen für Innenausstattung. Die Dame des Hauses töpfert und entsprechend viel Deko findet sich an den Wänden, neben Fotografien, die ihr Bruder aufgenommen hat. Eine sehr künstlerische Familie. Den hinteren Raum zur Bar hin dominiert der Lautsprecher der Musikanlage. Von der Optik her dem Trichter eines Grammophons ähnlich, liefert er absolut saubere Töne. Und was für welche! Die Hausherrin legt höchstpersönlich auf, südamerikanische Rhythmen, natürlich. Wer hierher kommt um Wein zu trinken, muss damit rechnen zum Tanz aufgefordert zu werden. Es wird ein sehr lustiger Abend, der mit einem waghalsigen Abstieg im Stockfinsteren endet. Diese Episode wird zu einer unserer liebsten Erinnerungen.

Mont-Saint-Michel

Wir hatten vor Jahren, als wir die Normandie besuchten, schon einmal einen Anlauf genommen dieses kulturelle Highlight zu sehen, aber es hatte nicht sein sollen. So wurde der Ausflug zum Mont-Saint-Michel der goldene Abschluss unserer Atlantik-Tour 2023. Der Caravan-Stellplatz auf dem wir unterkommen ist fünf Kilometer vom heiligen Berg entfernt. Man geht auf schnurgeradem Pfad am Fluss entlang, wobei wir das Monument die ganze Zeit vor uns haben. Die letzten Meter über das Watt führen über eine Holzbrücke. Früher, so erzählt mir Peter, der vor Jahrzehnten schon einmal hier war, konnte man direkt am Monument parken. Es war alles verlandet und es gab einen großen Parkplatz. Inzwischen werden Anstrengungen unternommen, mit kostspieligen Anlagen, den Fluss so umzuleiten, dass er die Sandmassen bewegt und dafür sorgt, dass der Berg wieder komplett von Wasser umspült wird, zumindest bei Flut. Das Prinzip scheint zu funktionieren, auch wenn es wohl noch eine Weile dauern wird, bis der erwünschte Endzustand erreicht ist.

Wir jedenfalls gehen durch die Mauern und landen erst einem in „Disneyland“. Denn die alten Dorfhäuser sind inzwischen zur Touristenfalle geworden. Wer da durch ist, hat das Schlimmste hinter sich. Einmal in der Abtei, wird es ruhig. Wir haben uns entschieden unter der Woche und spät am Tag hier her zu kommen, so dass wir zeitweise die Räume ganz für uns allein haben.

Die Geschichte des Mont-Saint-Michel (schaut euch das Video unbedingt an, das ist Gänsehaut pur) beginnt im Jahr 708, als Bischof Aubert, einer inneren Stimme folgend, auf dem Berg ein Heiligtum zu Ehren des heiligen Michael errichten lässt. Der Berg wurde schon bald eine bedeutende Wallfahrtsstätte. Im 10. Jahrhundert ließen sich Benediktiner in der Abtei nieder und darunter entstand das Dorf. Die Abtei wurde Stück um Stück erweitert, neue Teile der Kathedrale auf alte erbaut. So entstand ein imposantes mehrgeschossiges Werk, das sowohl Kirchenmänner, als auch Gläubige in großer Zahl aufnehmen konnte. Es war darüber hinaus ein Beispiel militärischer Architektur, denn die Engländer bissen sich daran die Zähne aus. Der Mont-Saint-Michel trotzte jedem Angriff. So wurde der Berg auch zu einem Symbol nationaler Identität. Nach der Revolution wurde aus der Anlage ein Gefängnis. 1874 erlangte sie den Status eines Baudenkmals und wurde seither stets renoviert. Im Jahr kommen etwa 3 Millionen Besucher, um das Bauwerk zu bestaunen.

Mir hat es besonders der Kreuzgang angetan, der mit seinen unzähligen, filigranen Säulen ein Licht- und Schattenspiel erzeugt. Jede Änderung des Blickwinkels eröffnet neue Perspektiven. Vom Refektorium geht eine unglaubliche Ruhe aus. Im Klostergarten schließlich brüten die Möwen. Einziger Wehmutstropfen sind die bewaffneten Männer und Frauen, die zu unserem Schutz hier patrouillieren. Frankreich hat in den letzten Jahren zu viele Anschläge erlebt.

In Saint-Jean-Le-Thomas machen wir noch einmal Halt am Meer. Von hier aus kann man den heiligen Berg von der Rückseite sehen. Wir machen einen langen Strandspaziergang im Abendlicht und bewundern dabei die Silhouette dieses so imposanten Bauwerks. Der perfekte Moment um Abschied zu nehmen. Wir sind inzwischen auf dem gleichen Breitengrad wie Baden-Baden, nur 1500 Kilometer weiter westlich.

Landy beklagt ein neues Wehwehchen: Der Schlauch der Lenkungshydraulik hat ein Leck. Peter legt einen medizinischen Druckverband an, hält es aber für besser, wenn wir jetzt nur noch möglichst wenig Lenkbewegungen machen. Ich suche also einen Weg über die Landstraßen aus, der uns auf möglichst gerader Strecke nach Hause bringt. Diese führt uns nach Fontainbleau südlich von Paris. Ein Abend an der Seine bei afrikanischen Rhythmen. Die Band aus dem Senegal bringt noch einmal unser Blut in Wallung. Dann segeln wir in Hochstimmung nach Hause und schmieden dabei neue Pläne für die nächste Reise. Das Ziel? Lass dich überraschen…

Ich freue mich, wenn du dann auch wieder dabei bist.

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Kennst du schon meine Reiseerzählungen „Unter demselben Himmel“? Wenn nicht, schau gern mal in der Rubrik „Reisebuch“. Dort findest du neben Hintergrundinformationen auch eine Leseprobe.

Falls du deinen Sommerurlaub vor dir hast wünsche ich dir gute Erholung, viele tolle Eindrücke und wunderbare Begegnungen. 😊

Herzlichst

Heidi

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