Heidi Metzmeier beschreibt ihre Erlebnisse in Südspanien, insbesondere eine Offroad-Tour durch den Nationalpark Gorafe

Auf und ab in Spanien

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Wir reisen von Frankreich nach Südspanien ein über den Col de Banyuls und somit über den Pass, den auch die Pilger erklimmen. Es ist also nicht verwunderlich, dass auf dem Grenzschild eine riesige Jakobsmuschel prangt. Ich zolle den Wanderern Respekt, die sich für diese Variante entscheiden. Das Auf und Ab ist selbst für unseren Land Rover anstrengend, der glücklicherweise inzwischen EBC-Spezialbremsen hat, die zwar höllisch quietschen, aber ihrer Aufgabe dabei, im Unterschied zu ihren Vorgängern, gerecht werden – zumindest wenn sie eingefahren sind.

Wir sind in Katalonien, was die zahlreichen Sprüche der Separatisten und die Fahne der Katalanen, die hier überall weht, deutlich machen. Unsere erste Station ist Roses. Ein Strandparadies, das wir uns wohl nicht ausgesucht hätten, würde hier nicht eine Autorin wohnen, die ich für ihre historischen Romane sehr bewundere und die meine ersten beiden Bücher mit ihrem Lektorats- und Korrektoratsservice betreut hat. Auf dieses Treffen freue ich mich, seit wir in Deutschland losgefahren sind. Wir checken am günstigeren der beiden Campingplätze ein, der hier das ganze Jahr geöffnet hat, und fühlen uns direkt wie zu Hause. So viele Camper aus Deutschland auf einem Haufen sind uns bisher nicht untergekommen. Spanien im Winter eben.
Beim ersten Spaziergang am Meer kehrt Leben in unsere ansonsten noch sehr verängstigte Hündin ein. Nellie rennt den Wellen entgegen und wälzt sich im Sand. Wie sie das vermisst haben muss! Und dann begegnen wir auch noch anderen Hunden mit entspannten Herrchen. Unsere vierbeinige Reisebegleiterin ist im siebten Himmel.
Wir treffen uns mit Astrid Töpfner und ihrem Mann in einem Restaurant, das uns auch mit Hund eintreten lässt. Ob wir das dem Verhandlungsgeschick der beiden Lokalhelden zu verdanken haben, oder ob die Katalanen Hunden gegenüber aufgeschlossener sind als die Spanier, kann ich nicht sagen. Jedenfalls verbringen wir einen traumhaften Abend bei ausgefallenen Tapas und guten Gesprächen – vom Reisen bis hin zur Liebe – die sich anfühlen, als würden wir uns schon ewig kennen. Den Abend rundet kulinarisch die Crema Catalana ab, die mit der typischen karamellisierten Zuckerschicht überzogen ist, die hier jedoch nach Zimt und Orange schmeckt. Zum niederknien. Astrids Mann bestellt Käsekuchen, der traditionell mit Zuckerwatte gereicht wird. Wie die Katalanen dabei schlank bleiben, ist mir ein Rätsel.

Heidi und Astrid haben sich viel zu erzählen
Käsekuchen mit Zuckerwatte, auch für die Erwachsenen.

Wir fahren, einer serpentinenreichen Straße folgend, die Küste der Costra Brava entlang. Dabei ergötze ich mich am Anblick des tiefblauen Meeres, das an einer nicht trennscharf auszumachenden Linie in den Himmel übergeht. Am Ufer wachsen gigantische Pinien. Für diese Nacht suchen wir uns einen Stellplatz im Grünen. Wir folgen dabei einer Offroad-Piste die steil den Hügel hinauf führt, bis sie den Kamm erreicht. Von hier oben haben wir einen 360 Grad Panoramablick und parken rückwärts ins Gebüsch ein. Wir bleiben jedoch nicht lang allein, denn die Einheimischen kommen vorbei, joggend, mit Hund, oder joggend mit Hund. Nach einem spektakulären Sonnenuntergang werde ich bekocht: Omelette mit Sommertrüffel.

An der nächsten Station, bei der wir am Hafen übernachten, lernen wir einen Radfahrer aus Freiburg kennen, der mit einem kleinen GFK-Anhänger unterwegs ist, in dem er schläft. Er zeigt mir die Koje bereitwillig, die sehr gemütlich aussieht. Er hat Solarzellen angebracht, die sein E-Bike antreiben. So ist er in sechs Wochen bis hierher gekommen und will noch weiter, mindestens bis Portugal. Danach, wer weiß. Vogelfrei – zumindest für sechs Monate, schön!

Das Delta des Flusses Ebre ist eine Überraschung. Wir fahren bis zum Camp kilometerlang über eine schmale Straße, die sich durch Reisfelder windet. Nur vereinzelt stehen kleine Häuschen, meist in Gesellschaft weniger Palmen. Ein Vogelparadies. Reiher, Ibisse, Krähen, Möven, Enten und Stare, alle in größeren Gruppen. Das Geschnatter und Geflatter erinnert mich an Afrika. Nachdem wir uns einen Platz am Caravanstellplatz gesucht haben, folgen wir mit Nellie dem angelegten Radweg durch die Landschaft des Naturparks. Es ist Wochenende und zahlreiche Jäger entsteigen ihren schmalen Booten, mit denen sie im Delta unterwegs waren – auf Entenjagd. Ich kann nur hoffen, dass die Kreaturen tatsächlich gegessen werden, denn es sind viele Opfer eines Sports, den ich nicht nachvollziehen kann.
Die Sonne des Spätnachmittags taucht alles in einen kräftigen Orangeton und spiegelt sich auf der Wasseroberfläche. Das Seegras das hier am Rand des Deltas überall wächst leuchtet golden. Stare sammeln sich zum Schwarmflug, Reispflanzen bilden interessante Muster in den Wasserstraßen und die Palmen dazwischen versuchen unbeteiligt auszusehen. Die Ruhe die von diesem Ort ausgeht ist magisch.

Das alles kommt mir schon zwölf Stunden später wie ein ferner Traum vor. Wir bewegen uns entlang der Schnellstraße weiter in Richtung Süden. Dabei passieren wir unzählige Ställe zur Massentierhaltung. Der stechende Geruch nach Gülle und Verwesung treibt uns die Tränen in die Augen. Diese Tiere werden nie den Himmel sehen. Wir erneuern unser Versprechen, nie wieder Serano Schinken zu essen. Aber es sind nicht nur die Tiere die scheinbar aufgegeben wurden. Wir fahren kilometerlang an aufgelassenen Industrieanlagen und Wohnhäusern vorbei. Peter schlägt – zugegeben etwas zynisch – vor, ein Video dieser Endzeitstimmung mit „Vamos a la Playa“ zu unterlegen. Dem Song, der so fröhlich daherkommt, aber eigentlich den atomaren Supergau besingt. So wirkt das hier alles auf uns. Es sind diese Seiten Spaniens, die wir nicht verstehen.

Bei Torreblanca liegt der Naturpark Serra d´Irta. Hier wollen wir ein paar Tage verbringen, um uns wieder einmal auf einem Campingplatz neu zu sortieren. Die letzten beiden Kilometer zum Ribamar sind Piste, aber die Anlage ist chic. Wir suchen uns einen der großzügig bemessenen Campsites aus und werden länger bleiben als geplant, denn ein Wasserrohrbruch wird dazu führen, dass das Areal vor unserem Stellplatz aufgegraben werden muss, um ihn zu beheben. Es gibt schlechtere Orte, um hängen zu bleiben.
Die Küste ist rau, mit großen Steinen aus roter Farbe, dazwischen kleine Buchten, in denen man sich verstecken kann. Sie sind mit Steinen bedeckt, die das Meer rund geschliffen hat. Die üppige Vegetation gestaltet Wanderungen entlang der Küste in diesem Naturpark interessant: Es wachsen windschiefe Kiefern, Pinien und kurze, gedrungene Palmen. Manche bilden kleine Tunnel, die wir in gebückter Haltung passieren.
Wir leihen uns Mountainbikes und fahren in die Stadt. Allerdings ist der Touristenort um diese Jahreszeit wirklich ausgestorben. Die Tour zurück, entlang der Küste, ist herausfordernd und sportlich. Ich verliere die Kette.
Am Ende des dritten Tages frage ich den Arbeiter in meinem Kleinkinderspanisch, ob die Arbeiten am Wasser bald beendet sind. Er lacht herzlich und sagt, in dreißig Minuten kann ich duschen und Wäsche waschen. Der Mann arbeitet von morgens bis abends und hat selbst am Ende einer anstrengenden Aufgabe ein fröhliches Liedchen auf den Lippen. Solche positiven Seelen bewundere ich für ihre innere Haltung.

Nellie geht gern am Liebsten mit sich selbst spazieren

Der weitere Weg führt uns an Valenzia vorbei, wo vor knapp zwei Monaten ein heftiges Unwetter für eine Katastrophe ohne Beispiel sorgte. Der Starkregen, der so viel Wasser mitbrachte wie sonst das ganze Jahr, ließ Flüsse über die Ufer treten, zerstörte Brücken, Straßen, Häuser und riss auf dem Weg alles mit sich. Viele Menschen und Tiere fielen diesem schrecklichen Ereignis zum Opfer. Auch jetzt ist noch viel der Zerstörung sichtbar, obwohl die Spanier in einem rekordverdächtigen Tempo aufgeräumt haben. Die Autobahn ist wieder benutzbar, auch wenn noch zahlreiche Brücken fehlen. Wir sehen am Straßenrand viele Felder, deren Ernten zerstört sind. Orangenbäume ohne Orangen und ohne Blätter zum Beispiel. Die Bauern denen diese Felder gehören haben keine Lebensgrundlage mehr. Auf Freiflächen sind kaputte Autos in endlosen Reihen übereinandergestapelt. Es wird noch lange dauern, bis die Schäden beseitigt sind, vor allem an den Wohnhäusern und viel mehr noch in den Seelen. Und wenn man vom Schicksal – oder sollte ich sagen vom Klimawandel? – so erschüttert wird, dann geht eine neue Saat auf: Die der Verschwörungstheorie. Mit einer davon werden wir kurz darauf konfrontiert, als wir auf dem Hof eines Belgiers unterkommen. Er behauptet, man würde sich in der Region erzählen, der Regen sei gesteuert worden, ein provoziertes Gewitter, so wie in Dubai (!?). Die plausibelste aller Theorien wollen wir nicht hören, die nämlich, dass wir unser Leben ändern müssen, wenn dieser Planet uns nicht abschütteln soll. Der Belgier und seine Frau – nur wenige Kilometer weiter südlich – haben jedenfalls das gegenteilige Problem: Bei ihnen regnet es überhaupt nicht mehr. All ihre Früchte sind klein geblieben. Die Oliven werden gar nicht erst geerntet.
Die beiden betreiben ihr Camp, das nur drei Stellplätze bietet, mit viel Liebe. Jeden Abend laden sie zum Apero. Ich genehmige mir in weihnachtlicher Atmosphäre einen Gin Tonic, während Peter sich am Holzofen erfreut und ein Bier genießt. Wir hören, dass die Zwei schon bald nach Belgien zurückkehren werden, wegen der Enkel – Trennungsschmerz auf Seiten der Oma. Sonne auf der Haut ist eben doch nicht so wichtig wie Sonne im Herzen. Den Spaziergang zum Wasserfall und zur Mühle in der Nähe werden wir jedenfalls nicht so schnell vergessen.
Am anderen Morgen streikt zunächst unsere Wasserpumpe im Auto und dann unsere Lunge, denn die Nachbarn feuern mit nassem Holz, über dem gesamten Tal liegt eine stinkende Dunstwolke, deren Geruch sofort in all unsere Kleider kriecht. Es ist Feiertag. Wir erkennen das am Geballer. Jäger streichen durch die Felder, Kaninchen und Vögel bringen sich vor ihnen in Sicherheit.

Die Fortsetzung unserer Tour führt durch trockene, leblose Landschaften und wir fragen uns, warum hier eigentlich keine Sonnenkollektoren stehen. Um die nächste Kurve werden wir bestätigt. Soweit das Auge reicht Solarpannels. Spanien ist hier europäischer Vorreiter und könnte wohl, wenn der Wille da wäre, den größten Teil des europäischen Energiebedarfs decken. Etwas anderes ist in dieser kargen Landschaft ohne Regenfälle ohnehin schwer zu erreichen.
Eigentlich wollen wir hier in der Nähe etwas in die Höhen, in einen Nationalpark, aber uns dämmert schon bei der Anreise, dass das wohl keine intelligente Idee war, an einem Wochenende mit zwei spanischen Feiertagen in Folge. Wir werden dann auch am Camp ganz höflich vor die Tür geschickt. Ausgebucht! Also folgen wir einmal mehr unserer Nase und landen mitten in einem wüstenhaften Gelände aus gelben, roten und weißen Felsen die nebeneinander stehen wie Wichtel. Wind und Wasser haben sie geformt. Mich erinnert die Landschaft an Kappadokien in der Türkei. Wir suchen uns einen Standplatz im Schatten eines größeren Baumes und machen im letzten Sonnenlicht einen Spaziergang über den zwar ausgewaschenen aber harten Lehmboden. Gib Nellie ein bisschen Sand und sie ist glücklich. Nachdem wir zurück sind postiert sie sich – ganz Hütehund – in gebührendem Abstand vom Land Rover und behält die Umgebung im Auge. Hier ist sie in ihrem Element.
Am anderen Morgen geht sie kurzerhand mit sich selbst spazieren, während wir im orangenen Licht der Morgensonne unserer Morgenroutine folgen: Meditation, Gymnastik, Kaffee.

Wir kaufen am liebsten auf dem Markt oder bei Consum, dem Supermarkt der spanischen Kooperative, aber wenn es diesen nicht gibt, haben wir manchmal nur die Wahl zwischen französischen (Auchan, Carefour) oder deutschen (Aldi, Lidl, Spar) Supermärkten. Interessant ist, wie sich die Discounter an die jeweiligen Landesvorlieben anpassen. Bei Aldi sind wir überrascht praktisch keine Bioware vorzufinden, so wie bei uns. Dafür dominiert Fleisch in allen Varianten. Wir erfreuen uns vor allem an den Brotsorten, denn das spanische Weißbrot ist nicht so ganz nach unserem Geschmack.

Zurück auf der Autobahn werden wir alsbald vom mare el plastico begleitet, Gewächshäuser aus Plastik, die sich von den Steilhängen der Berge bis zum Wassersaum des Meeres erstrecken. Unterbrochen wird diese Plastikwüste von den Logistikhallen der Speditionsfirmen, die das Gemüse in die Welt transportieren und natürlich von den Herstellern der Plastikware bzw. von Bayer, die alles liefern, was einen Gemüsegroßunternehmer glücklich und reich macht. (Nur nebenbei: Die meisten dieser Großunternehmen gehören nicht einmal den Spaniern.) Mir vergeht bei diesem Anblick die Lust an der Massenware, auch wenn es „nur“ Gemüse ist. Viel später werden wir uns mit Menschen unterhalten die Einblicke in dieses Business haben und uns bestätigen, was zu vermuten ist: Hier werden vor allem in prekären Verhältnissen lebende Migranten (vorzugsweise aus dem afrikanischen Kontinent) beschäftigt, die man tageweise mit Aufgaben betraut, so dass sie sich nie sicher sein können, ob sie auch weiterhin Arbeit haben. In welchem System haben wir uns nur eingerichtet?

Zurück zur Natur! In diversen Blogs hat Peter von einem Nationalpark gelesen, der mit dem Namen der Stadt assoziiert ist, die er umgibt, Gorafe. Das Gebiet liegt nördlich der Sierra Nevada, deren schneebedeckte Gipfel uns von der Autobahn grüßen. Der Nationalpark ist bekannt für seine Megalithen (Gräber) und Troglodyten (Höhlenwohnungen) sowie einen Offroad-Rundkurs von ca. 25 km, den zu fahren das 4×4-Herz höherschlagen lassen soll. Wir sind gespannt. Zunächst schauen wir in einen tiefen Canyon der mit Olivenbäumen und golden leuchtenden Gräsern bewachsen ist. Am Ende der Serpentinen, die hinunterführen, liegt der kleine Ort Gorafe. Weiße Häuser schmiegen sich an den Hang, ganz oben thront über allem die ebenso strahlend weiße Kirche. Es geht in engen Kehren über eine einspurige Straße den Hügel wieder hinauf bis zum Plateau. Ich halte die Luft an, dass uns hier keiner entgegenkommt, denn ausweichen kann man auf diesem Stück nicht. Oben angekommen haben wir einen gigantischen Blick über die Stadt und die angrenzenden Felder. Ab hier beginnt die Piste. Da es bereits Nachmittag ist, beschließen wir uns ein Plätzchen für die Nacht zu suchen und den Sonnenuntergang von hier oben zu genießen. Wir befinden uns auf über eintausend Metern Höhe. Die Landschaft um uns herum ist eine Mischung aus Fish River- und Bryce-Canyon, zerklüftet und in allen Farben leuchtend. Nachdem wir den Landy abseits der Piste geparkt haben unternehmen wir einen Spaziergang. Unweit unseres Camps steht ein Haus das komplett verglast ist, weithin sichtbar. Das wollen wir uns genauer ansehen. Es ist perfekt auf Sonnenauf- und -untergang ausgerichtet. Leider kommt man nur bis auf etwa einen Kilometer heran, denn das Kleinod ist zu mieten und die Gäste sollen natürlich für sich sein dürfen, so exponiert wie das ganze Gebilde gestaltet ist. Bei der Abendrunde fragen wir uns, ob es in dieser Gegend Schakale oder sogar Wölfe gibt. Die Geier kreisen jedenfalls schon über unseren Köpfen.
Am nächsten Morgen machen wir uns auf den ersten Abschnitt des Rundkurses und kommen dabei an mehreren Höhlenwohnungen vorbei. Irgendwann entscheidet Peter, dass er die Hauptpiste verlassen möchte. Wir folgen einer Abzweigung, die alsbald sehr steil den Hang hinunter in ein Seitental führt. Der Landy und sein Fahrer müssen ordentlich arbeiten, denn die Piste ist sehr ausgewaschen, mit tiefen Rillen durchsetzt. Um mich abzulenken mache ich Videoaufnahmen. Die Aussicht ist traumhaft und um jede Kurve bieten sich neue Eindrücke, aber mein Popometer meldet sich, sobald die Neigung 15 Grad überschreitet.
Den Abzweig in das Flussbett des Canyons scheinen wir verpasst zu haben, jedenfalls geht es unmittelbar wieder bergan. Die gleiche Herausforderung, nur mit umgekehrtem Neigungswinkel. Peter macht seine Sache super und Nellie fügt sich hinten liegend in ihr Schicksal. Als wir das Plateau wieder erreichen, orientieren wir uns auf unserem Kartenmaterial wo wir sind und entscheiden, in einem Bogen über kleinere Pisten wieder zur Hauptroute zurückzukehren. Das klappt, bis die Staubpiste an einem Abzweig zu einem jähen Ende kommt. Die private Finca macht von ihrem Hausrecht Gebrauch. Also nochmal in die Karte versenken und eine Alternative suchen. Wir finden einen kleinen Track, der uns auf kürzestem Weg wieder in bekanntes Gebiet zurückführen sollte. Das klappt auch gut und wir klatschen uns schon ab, als wir am Übergang zur Hauptpiste ein Stahlseil mit Schloss baumeln sehen. Irgendwer hat hier abgesperrt, aber eben nur aus einer Richtung. Jetzt ist guter Rat teuer. Die Piste auf der wir gekommen sind ist zu beiden Seiten hoch mit Schotter aufgeschüttet. Damit soll wohl verhindert werden, dass man den Ausstieg umfährt. Zurück zum Ausgangspunkt ist für mich keine Option. Die Piste in umgekehrter Richtung zu fahren ist nichts für meine Nerven. Also schaut Peter sich „den Wall“ genauer an und befindet, dass er an einer Stelle niedrig genug ist, dass der Landy ihn überwinden kann. Gesagt, getan. Peter steuert den Landy über den Schotterberg und wir setzen dabei tatsächlich nur marginal auf. Allerdings klingt das Brummen des Wagens danach deutlich tiefer als vorher. Die beiden Wanderer, die sich gerade die Höhlenwohnungen in diesem Bereich ansehen, schauen einigermaßen verdattert auf, als wir sie winkend passieren.

Für diesen einen Tag hatten wir genug Abenteuer. Daher schlagen wir uns in die Büsche und Peter besieht sich den Landy von unten. Das flexible Verbindungsstück am Auspuffrohr hat sich durch unseren Stunt verschoben. Das muss auf jeden Fall repariert werden. So legt er sich in den Staub, um das Problem zu beheben. Auch die Dieselleitung der Standheizung hat etwas abbekommen. Die Schelle ist jedoch schnell nachgezogen. Wenn das der einfache Teil des Abenteuers ist, dann können wir gespannt sein, was noch kommt.
Am nächsten Tag geht es auf der Hauptpiste über mehrere Serpentinen bergab und ins Flussbett. Die reguläre Route führt von hier aus nach Süden. Wir folgen dem Flussbett aber in die andere Richtung. Peter möchte sehen, ob der Fluss, der in unserer Karte verzeichnet ist, erreicht werden kann. Außerdem müsste hier der Ausstieg für den Canyon sein, den wir gestern verpasst haben. Wir fahren für eine ganze Weile auf sandigem Boden, zwischen Steinriesen hindurch, die sich rechts und links von uns auftun. Dann entscheiden wir den Landy zu parken und den weiteren Verlauf der Strecke als Spaziergang zu nutzen. Nellie ist sofort in ihrem Element und strahlt vor Freude. Endlich kein Schaukeln mehr! Wir folgen dem trockenen Flussbett und sind berauscht von der Schönheit der Natur, insbesondere als wir den Flusslauf tatsächlich erreichen. Hier wächst üppiges Grün und Pflanzen in allen Herbstfarben. Dazwischen verläuft das Wasser, das kleine Schleifen dreht. Wir machen auf einer Anhöhe eine Stelle aus, die sich perfekt zum Übernachten eignet.
Auf dem Rückweg entdecken wir tatsächlich die Stelle, an der der Canyon, in den wir gestern hinabgestiegen sind, mit diesem zusammenläuft. Gut, dass wir das nicht versucht haben zu fahren! Die Spur ist nämlich nicht breit genug für ein Fahrzeug. Hier kommen maximal Motorräder oder Fahrräder durch. Der Landy wird sachte bis zu der Stelle manövriert, an der wir übernachten wollen. Hier sind wir umgeben von Hügeln, vor uns rauscht der Bach. Es ist menschenleer und sagenhafte Stille umgibt uns. Als Abendrunde erklimmen wir den Hügel vor uns, um zu erspähen, was hinter der Furt liegt, die für Fahrzeuge gesperrt ist. Wir entdecken akkurat angelegte Felder einer weiteren Finca. Und ich stelle mit Freude fest, dass ich von hier oben, wenn ich den Arm ausstrecke, ein paar Wellen des 3G-Netzes erhaschen kann. Ich bin am nächsten Tag auf Instagram mit meiner Geschichte für das Adventsgezumpel dran und habe mich schon gefragt, wie ich das von hier aus bewerkstelligen kann. Abgeschiedenheit hat eben ihren Preis. Am Morgen schäle ich mich also aus dem Bett und wundere mich, warum man den Sonnenaufgang nicht so schön sehen kann wie die letzten Tage. Das Wetter hat sich geändert. Das bringt mich aber nicht auf den Gedanken, dass es draußen sehr kalt sein könnte. Erst als mir beim Posten die Finger steif werden erkenne ich, dass es wohl keine gute Idee war ohne Handschuhe loszurennen. Die Wetter-App zeigt vier Grad Celsius! Also schnell wieder zurück zum Auto. Als ich den Abstieg zur Hälfte bewältigt habe, raschelt es hinter mir. Ich drehe mich erschrocken um und entdecke Nellie. Sie wurde von Peter vor die Tür geschickt und hat sofort meine Fährte aufgenommen. Guter Hund!

Wasser in der Wüste – immer wieder faszinierend

Heute werden wir, auch wegen der unsicheren Wetterlage, den Nationalpark verlassen. Auf dem Rückweg durch das trockene Flussbett bleiben wir an einem Strauch hängen. Der Außenspiegel auf der Fahrerseite entscheidet in dem Moment, dass dreißig Jahre genug sind und folgt der Schwerkraft. Da wir so nicht weiterfahren können, beschließt Peter die Brachialvariante anzuwenden und das Konstrukt an der Aufhängung vollends abzureißen. Wie schwierig es ist ohne Außenspiegel mit einer Kabine unterwegs zu sein, werden wir insbesondere auf der Autobahn feststellen. Überholen ist fast unmöglich. Hier und jetzt müssen wir allerdings erst einmal den schwierigsten Teil der Hauptpiste überwinden. Es geht mit viel Verschränkung, ordentlich Neigung und immer entlang ausgewaschener Pisten mit teils sehr tiefen Löchern den Canyon hinauf und den Kamm entlang. Ich habe aufgrund der spektakulären Aussichten kaum Zeit mich aufzuregen. Auch Peter genießt es, obwohl die Tour sehr anspruchsvoll ist. Zur Mittagszeit haben wir die Runde vollendet und werden noch mit einer Wildtierbegegnung belohnt. Drei Exemplare einer größeren Antilopenart grasen friedlich auf dem Plateau.

Antilopen zum Abschied

In der größeren Stadt Mutril fahren wir einen Land Rover Händler an, weil wir uns erhoffen, hier ein Ersatzteil für den Außenspiegel zu bekommen. Der Laden beherbergt neben viel gähnender Leere einen 130er Land Rover Defender und einen Schreibtisch, hinter dem eine Rothaarige sich verschanzt hat, die nun große Augen macht, als wir zielstrebig auf sie zumarschieren. Ich versuche mithilfe der App ITranslate zu kommunizieren was unser Problem ist. Daraufhin schüttelt sie vehement den Kopf. Das Originalteil müsste in Madrid bestellt werden, kostet 130 Euro und braucht mindestens 48 Stunden bis es da ist. Ein Kollege materialisiert sich aus den hinteren Katakomben, der hektisch auf sein Mobiltelefon einhämmert und mir schließlich das Ergebnis seiner Recherche präsentiert. Es ist die Adresse eines Internetgroßhändlers bei dem man den Arm mit Aufhängung aber ohne Spiegel bestellen kann. Ich fotografiere das Bild ab und wir verabschieden uns. Der nächste Versuch gilt einen Schrotthändler, der – sichtlich mehr bemüht – für Minuten in seinem Lager verschwindet, um mir dann einen LKW-Spiegel unter die Nase zu halten. Kein schlechter Gedanke, nur leider hat die Aufhängung die falsche Ausrichtung. Frustriert beschließen wir, die Sache erst einmal zu überdenken und stattdessen unsere Vorräte aufzufrischen. Auf dem Parkplatz des Supermarktes trauen wir unseren Augen nicht. Wir treffen hier – völlig ungeplant – Ivo und Gabriela wieder, zwei Schweizer, die wir vor fünf Jahren auf Kreta kennengelernt haben. Sie erzählen uns von einem Caravanstellplatz in Almuñécar, von dem aus man toll über das Meer schauen kann, der alle Annehmlichkeiten eines Campingplatzes bietet, der günstig ist und in einer Stadt, die jede Menge Flair hat. Da wir große Lust darauf haben, uns mit den Beiden auszutauschen, kommen wir kurzerhand mit und bleiben auf Tage hier hängen, in der Gesellschaft von Gleitschirmfliegern aus der Südlichen Weinstraße und anderer Traveller von Friedrichshafen über Baden-Baden bis Mainz. Es ist wie daheim, nur mit besserem Wetter.

Das Spiegelproblem lösen wir am Ende übrigens mit Hilfe meiner Autorenkollegin Astrid Töpfner. Sie bestellt das Ersatzteil beim Großhändler mit den Angaben aus dem Foto und lässt es direkt zum Stellplatz liefern. Die Zustellung dauert nur zwei Tage. Peter muss zwar feststellen, dass das Neuteil nicht zu seinem alten Spiegelarm passt, aber er sägt es kurzerhand auseinander, da wir ja „nur“ die Aufhängung brauchen. Das Experiment gelingt und wir könnten jetzt eigentlich weiter. Aber es ist so schön hier.

Marokko muss wohl noch ein paar Tage auf uns warten…

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