Heidi Metzmeier erzählt in diesem Blogbeitrag von ihrer Winterreise entlang der marokkanischen Atlantikküste

Marokkos Atlantikküste

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Pläne sind dazu da, über den Haufen geworfen zu werden. Ursprünglich wollten wir schnurstracks in den Süden und entlang der algerischen Grenze durch Marokko reisen. Es kam anders. Aber der Reihe nach…

Ein langer erster Tag

Die Fähre von Algeciras nach Ceuta ist ein Katamaran. Wer mit so einem Schiff schon einmal gefahren ist weiß, dass es bei Seitenwind eine eigentümliche Rollbewegung vollführt. Das behagt nicht jedem Magen, schon gar nicht, wenn es dazu über dem Meer auch noch regnet und das Wasser Wellen mit Schaumkrönchen produziert.

Da wir einen Hund dabeihaben, müssen wir eigentlich aufs Außendeck. Allerdings ignorieren wir diese Direktive und verkrümeln uns in die letzte Reihe der Innenkabine. Nellie macht ihre Sache auch wirklich gut, liegt mucksmäuschenstill zwischen Peters Füßen unter den Sitzen und dämmert vor sich hin. Auf halber Strecke jedoch dreht sie den Kopf und entlässt ihr Frühstück auf den Teppich. Da ich selbst damit beschäftigt bin den Horizont zu fixieren, damit mir nicht das gleiche Schicksal widerfährt, ist es an Peter die Spuren zu beseitigen. Nach etwas mehr als einer Stunde ist der Spu(c)k glücklicherweise vorbei und der Kahn entlässt uns auf den afrikanischen Kontinent.

Wobei das, was wir nach Verlassen des Hafens vorfinden, an alles erinnert, nur nicht an Afrika. Die spanische Enklave Ceuta sieht aus wie jede mittelgroße europäische Stadt, mit Supermärkten und Modegeschäften wie man sie kennt. Da uns das nicht interessiert, fahren wir direkt zur Grenze, wo wie in Dreierreihen vor kleinen Häuschen anstehen, in denen sich die Grenzbeamten mühen, des kontinuierlichen Stroms an Fahrzeugen Herr zu werden, denn die Fähren fahren stündlich. Den Marokkanern geht es definitiv nicht schnell genug. Sie starten ein Hupkonzert, das jedoch ohne sichtbaren Effekt verhallt. Als wir nach etwa anderthalb Stunden an der Reihe sind, werden wir von einem sehr freundlichen Mitarbeiter auf höfliche Art und Weise befragt. Ohne Umschweife erhalten wir einen Stempel in den Pass. Nun dürfen wir neunzig Tage bleiben. Die nächste Station ist der Zoll. Wir werden an die Seite gewunken. Klar, die wollen ins Innere des Wagens gucken, denke ich. Wir stehen und warten, zehn Minuten, zwanzig Minuten, nichts passiert. Leichter Unmut kommt auf. War ja klar, wir werden weichgekocht, denke ich. Das ist meine Erfahrung aus den zurückliegenden Transafrikareisen. Dann schaue ich einmal genau hin was andere Fahrzeughalter machen und begreife, dass es an uns wäre, aktiv zu sein. Peter muss mit den Fahrzeugpapieren zum Zollhäuschen und sich einen kleinen Wisch ausstellen lassen, der zum Auto gehört und bis zur Ausreise nicht verlegt werden sollte. Als das erledigt ist, materialisiert sich auch umgehend ein Zollbeamter, der unser Wageninneres inspizieren möchte. Da hatte ich den Marokkanern also etwas unterstellt, was gar nicht in ihrer Absicht lag. Manchmal prägen uns Erfahrungen auch auf negative Weise. Das werde ich mir merken.

Nellie muss für die Untersuchung aus dem Land Rover. Das geht nicht ab ohne bellenden Protest. Der Zollbeamte lässt sich davon nicht beirren, zeigt auf unsere Campingstühle und fragt, ob da Waffen drin seien. Ich muss nochmals nachfragen, um sicher zu gehen, dass ich mich nicht verhört habe. Mein Französisch ist nicht ganz sattelfest. Mit einem Ausdruck tiefer Entrüstung verneine ich. Das war´s dann aus Sicht des Zolls.

Die letzte Station ist die Polizei. Hier wird der kleine weiße Zettel kontrolliert und unsere Pässe nochmals in Augenschein genommen. Dann sind wir bereit für Marokko. Der Landy rollt vorsichtig vom Gelände und ich bin verdutzt. Hatte ich doch hier jede Menge Schlepper erwartet, die Geld tauschen, uns eine SIM-Karte für das Mobiltelefon und eine Autoversicherung verkaufen wollen. Aber es ist nahezu gespenstisch leer. Offenbar sind die Herren alle am Hafen von Tanger MED, wo die meisten Reisenden anlanden. Wir fahren an diesem ganz eigenen Kosmos wenig später vorbei. Ein Hafen so groß wie eine Stadt, mit Mauern, Zäunen und Stacheldraht gesichert. Dahinter ungelogen hunderte LKW, überdimensionale Hafenkräne und dutzende Containerschiffe. Ich kann die Dimension der Waren, die hier bewegt werden, mit meinen Fähigkeiten nicht erfassen. Diesen Hafen hat es vor 15 Jahren noch nicht einmal gegeben! Heute ist er der (Alb-)Traum vieler Flüchtlinge und LKW-Fahrer. Wir hören, dass immer wieder Menschen versuchen, sich in die Ladung zu schmuggeln, oder sich irgendwie ans Fahrzeug zu hängen.

Ich hatte die Offline-Navigation zum ersten Camp bereits in Spanien eingestellt, so dass wir unser Ziel zügig finden. Auf dem Weg zur Westküste des Atlantiks passieren wir zahlreiche Polizeikontrollen. Ihre Fahrzeuge stehen in jeder Kurve, an Abzweigungen und hinter Erdhügeln. Sie sind aufgerüstet wie zum Einsatz bei einer Demo, mit Gittern vor der Windschutzscheibe. Wir fragen uns, ob man Aufstände befürchtet, oder die Grenze sichert. Vor uns fährt ein PKW mit einem Herrn mittleren Alters am Steuer. Er ist offenbar jemand, den man kennen muss. Jedenfalls wird in Reih und Glied salutiert, wenn der Wagen Polizeisperren passiert. Für uns machen sie diesen Zinober sicher nicht.

Gerade rechtzeitig bevor die Sonne untergeht erreichen wir das Camp und werden begrüßt von Zebras, Giraffen und Flamingos, allesamt aus Pappmaché. Nur die Pfauen im Garten sind echt. Wir fragen uns, in welchen Kinderzirkus wir hier geraten sind. Da wir zur vorgerückten Stunde ohnehin keine Wahl haben, suchen wir uns einen der Plätze auf dem Camp aus und machen uns auf in Richtung Restaurant, denn wir haben seit dem Frühstück nichts mehr gegessen. Der Laden ist brechend voll, aber nicht mit Reisenden, sondern mit Marokkanern. Die Auswahl an Speisen ist berauschend: Tarjine, Suppe, Fisch, Fleisch, Gemüse, verschiedene Salate, einfach alles. Ein Mitarbeiter kümmert sich um uns, überlässt uns sogar sein Mobiltelefon, damit wir den QR-Code scannen können, der zu einer Speisekarte führt, aus der wir – in vier Sprachen! -auswählen können. Marokko hat sich definitiv verändert…

Die „Wildtiere“ im ersten Camp.

Das Beste kommt zum Schluss: Wir wählen zwei verschiedene Varianten an Tarjine, damit der Tag authentisch endet und werden mit der Aussage überrascht, wir mögen es uns noch in unserem Camper gemütlich machen, das Essen würde uns vorbeigebracht. Wir entzünden ein paar Kerzen und essen genussvoll im stimmungsvollen Ambiente unseres mobilen Zuhauses. Satt und zufrieden fallen wir in unser Bettchen. Marokko hat uns sehr nett aufgenommen!

Asilah

Am Morgen weckt uns noch vor Sonnenaufgang der Muezzin, Hähne krähen, Hunde bellen, Vögel pfeifen und wir haben ein breites Grinsen im Gesicht. Als erstes gehen wir mit Nellie zum Strand. Sie ist völlig aus dem Häuschen, denn das ist Terrain, auf dem sie sich auskennt. Ich behalte das halbe Dutzend Streuner im Auge, aber stelle schnell fest, dass Nellie als Ex-Straßenhündin genau weiß was sie tut. Auch in der Folge werden wir keine Probleme mit den allgegenwärtigen Tieren haben.

Am Strand ist Nellie in ihrem Element

Ich hatte allerdings vergessen wie schmutzig afrikanische Strände sind. Marokko bildet da keine Ausnahme. Aufgeräumt wird nur in den eigenen vier Wänden. Die Gärtchen der Häuser sind liebevoll mit Blumen angelegt und gefegt. Aber sobald man öffentliches Gelände betritt herrscht Anarchie. Zum Teufel mit der Mülltrennung. Die Container auf der Straße quillen über. Obendrauf sitzt eine Katze, mittendrin mehrere Hunde. Wenn die Müllberge zu sehr überhand nehmen, werden sie angezündet. Dann stinkt es nach Plastik. Daran können wir uns beide auch nach Wochen nicht gewöhnen. Dieses Land ist offenbar aufstrebend und auf einem guten Weg. Warum man sich, wo für so vieles andere in diesem Land kräftig investiert wird, beim Thema Entsorgung so zurückhält, bleibt ein Rätsel.

Im nächsten größeren Ort halten wir gleich wieder an. Die Suche nach einer Autoversicherung gestaltet sich schwieriger als gedacht. Die erste hat geschlossen, die zweite nimmt keine Fahrzeuge mit ausländischer Zulassung, erst bei der Dritten haben wir Glück. Schön ist, dass wir überall sehr höflich behandelt werden und man uns zu helfen versucht, mit einem Tipp oder einer Telefonnummer. Die Gastfreundschaft der Marokkaner stimmt uns fröhlich. Auch auf dem Campingplatz sind die Angestellten sehr hilfsbereit. Wir werden mit einer SIM-Karte versorgt und dürfen uns einen Platz aussuchen. Einzig die Dusche ist ein Glücksspiel. Mal ist das Wasser warm, mal kalt, man weiß nie, was gerade dran ist.

Die Altstadt von Asilah ist wunderschön. Viele historische Gebäude sind liebevoll und offenbar mit viel Geld restauriert worden. An den Wänden findet sich jede Menge moderner Kunst. Eine Symbiose die nicht überall gelingt – hier schon. Die Promenade am Meer entlang ist sehr breit. Platzprobleme kennen sie hier nicht. Die Pflastersteine sind mit Wellenmotiven verziert, überall stehen Palmen und die Straßenbeleuchtung ist so aufwändig wie bei uns nur auf Prachtmeilen.

Wir haben (bis auf eine Flasche Sekt) keinen Alkohol eingeführt, in Marokko ist der Genuss von Alkohol verpönt, zumindest im öffentlichen Raum. Daher finde ich es zweifelhaft, wenn sich Europäer in einem italienischen Straßenrestaurant mit Weißwein bedienen lassen. Letztlich muss diese Entscheidung aber jeder für sich treffen. Wir genießen am Abend den Sekt hinter verschlossenen Land Rover-Türen und freuen uns mit unserem Hund, dass es in Marokko zu Silvester kein Feuerwerk gibt. Wir sind gespannt was das neue Jahr uns in diesem Land bescheren wird.

Zwischen Asilah und Essouira

Um ein gutes Stück voran zu kommen nutzen wir die gut ausgebaute Autobahn in Richtung Süden. Hier gibt es zahlreiche Mautstellen, an denen wir sehr unterschiedliche Erfahrungen machen. An einem der Bezahlhäuschen überschlägt sich der Mitarbeiter fast, als er hört, dass wir aus Deutschland kommen. „Deutschland! La Machine!“, ruft er aus. Wir fragen uns auf den weiteren Kilometern was er damit wohl gemeint haben könnte und kommen zu dem Schluss, dass er wohl den Ruf der brummenden Wirtschaft damit meint, der uns immer noch anhaftet. Aber vielleicht war es auch eine Anspielung auf unsere Automarken, die sie hier sehr gerne fahren, vom alten Mercedes Benz bis hin zum neuen Audi.

Einer der Fahrer mit dem Stern beschert uns ein unschönes Erlebnis. Wir brauchen an der Mautstation etwas länger, um unser Ticket zu ziehen, was den Fahrer hinter uns so in Rage versetzt, dass er beim Überholmanöver danach den Versuch unternimmt, uns von der Straße abzudrängen. Mit einem Land Rover sollte man sich jedoch nicht anlegen. Er gibt alsbald auf.

Die Strände werden länger und die Dünen immer höher. Auf einem Camp wären wir wirklich gern geblieben, ein Paradies mitten im Sand und unter schattenspendenden Bäumen. Aber dem jungen Besitzer haben sie die Konzession entzogen. Er kann uns nicht erklären warum, aber es ruiniert ihn, denn man sieht, wieviel er investiert hat. Wir können nur hoffen, dass er zeitnah mit den richtigen Leuten Kontakt aufnimmt, die seine Angelegenheiten beschleunigen können. Das sind Verhältnisse in denen ich als Deutscher Michel nicht klarkäme.

Franzosen hingegen haben da weniger Berührungsängste. Vielleicht auch, weil sie die Behördensprache beherrschen. Jedenfalls kommen wir auf dem weiteren Weg – kurz vor Essouira – an einem Camp von zwei jungen Franzosen vorbei, die sich hier einen Traum erfüllt haben. Zwölf Stellplätze und eine Hand voll Bungalows mitsamt einem Poolbereich. Sie nennen es „Mogadors Oasis“. Am ersten Abend werden wir noch abgewiesen, weil alle Plätze belegt sind. Also fahren wir einfach die Sandpiste entlang, bis wir außer Sichtweite sind und campieren wild. An diesem Abend taucht der Sonnenuntergang die Wolken in Flamingofarben. Am nächsten Morgen machen wir mit Nellie einen langen Strandspaziergang. Das Wasser hat sich der Ebbe wegen weit zurückgezogen. An der Kante zum Wassersaum stehen zahlreiche Angler. Wir begeistern uns vor allem für die Felsformationen hier. Nellie findet es toll durch Steinbögen hindurchzukriechen. Auf der anderen Seite ist breiter Sandstrand an dem sie sich sofort auf den Rücken wirft. Auf dem vorgelagerten Felsen sitzen unzählige Kormorane.

Heute haben sie in der Oase einen Platz für uns und sind ganz verdutzt, dass wir in der Nacht nicht von der Polizei aufgegriffen wurden. In Marokko ist das Campieren außerhalb der dafür vorgesehenen Einrichtungen nämlich (eigentlich) grundsätzlich verboten. Das gibt mir die Gelegenheit zu einem winzigen Exkurs zum Thema Reiseziel Marokko im Winter. Wir haben nämlich das Gefühl, dass dieses Land aus allen Nähten platzt. Europäer, allen voran Franzosen in ihren Wohnmobilen, sind überall. Manche Campsites sind so voll, dass es an Massenhaltung erinnert. Ein abschreckendes Beispiel ist der Caravanstellplatz von Oualidia. Die Lagune ist traumhaft schön, das Wasser so flach und warm, dass man darin baden könnte. Aber hier haben mehrere hundert Camper Quartier bezogen. Sie kommen mit kleinen PKW, Motorrädern und sogar Quads im Schlepptau. Nellie hat am Strand nur Fluchtreflexe, wenn die Dinger irgendwo auftauchen. Wir sind jedenfalls froh um unsere Geländegängigkeit, denn das erlaubt uns Unabhängigkeit, zumindest dort, wo nicht nationale Interessen berührt sind.

Am Nachmittag erkunden wir das nahegelegene Fischerdorf, das aus nicht mehr besteht als einer Hand voll Häuser und einer Moschee, sowie einer Meerwasserentsalzungsanlage. In der Bucht, die natürlicherweise ein Halbrund formt, liegen dunkelblau bemalte Fischerboote. Man könnte die Szene romantisch verklären, wenn man nicht wüsste wie hart dieser Job ist. Allein gegen die Brandung aufs offene Meer hinaus zu kommen ähnelt einem Drahtseilakt. Wir hören, dass hier vor allem Oktopus gefangen wird. Da sie uns den, auf Nachfrage im einzigen Kiosk am Ort, aber nur gefroren anbieten können, lehnen wir dankend ab.

Schlagartig ändert sich das Wetter. Es zieht ein Wind auf, der den Sand in die Luft wirbelt, so dass wir binnen kürzester Zeit kaum noch 20 Meter weit sehen können. Aber so schnelle wie der Spuk begonnen hat, ist er auch wieder vorbei.

Essouira

Auch bei Essouira kommen wir bei Franzosen unter. Im „Esprit Natur“ findet man genau das: Ruhe und Entspannung. Zwischen hübsch angelegten Blumenbeeten und unter Arganbäumen könnte man hier als Reisender glatt die Zeit vergessen. Wir jedoch haben uns die Erkundung der Stadt vorgenommen, bleiben allerdings am Carrefour-Markt erst einmal hängen. Hier gibt es alles was das europäischen Herz begehrt, selbst alkoholische Getränke, für die man allerdings ins Separee muss, das man nur über einen schmuddeligen Hinterhof wieder verlassen kann.

Da Nellie ohnehin für Städte nur wenig übrighat, lassen wir sie im Land Rover zurück und laufen am Strand entlang – wo sich Surfer mit ihren Brettern den Wellen entgegenwerfen – zum Hafen, der direkt danebenliegt. Das geschäftige Treiben dort ist überwältigend. Ständig fahren weitere Fischerbote ein, obwohl wir den Eindruck haben, dass der Hafen bereits bis auf den letzten Platz belegt ist. Mancher Kahn hat Schlagseite, so voll beladen ist er. Wie bei diesem scheinbaren Durcheinander jeder seinen Platz findet, ist mir schleierhaft.
Der Fang wird entweder in Kisten verpackt direkt auf Fahrzeuge verladen, oder gleich am Hafen in kleinen Buden feilgeboten, die hier dicht an dicht die Promenade säumen. Über allem schweben und kreischen die Möwen. Das Geruchsgemisch aus totem Fisch und Mövenpups kann ich nach einer Weile nicht mehr gut ertragen. Der Hit für viele Besucher ist, sich hier fangfrisch etwas auszusuchen, das an beiden Enden der Promenade im Freien auf einem Grill zubereitet wird. Da es gerade keinen freien Tisch für uns gibt, laufen wir in Richtung Medina und lassen uns an einem der kleineren, einfachen Fischrestaurants nieder. Der Peterfisch ist frisch und sein zartes, weißes Fleisch schmeckt sehr lecker.

Der Hafen von Essouira

Nun wollen wir noch die Medina besichtigen. Wir streifen durch die dunklen, niedrigen Gänge und können dabei noch altem Handwerk zusehen, wie etwa dem Schneider oder dem Musikinstrumente-Bauer. Natürlich gibt es auch Teppiche und allerhand Souvenirs, die das Touristenherz höherschlagen lassen. Mich wundert, nach meiner (zugegeben Jahre zurückliegenden) Erfahrung aus Marrakesch, dass sich uns hier niemand mit einem Tee aufdrängt, um uns danach in ein Verkaufsgespräch zu verwickeln. Wir können völlig unbehelligt die Gänge durchstreifen, bis uns der Weg um die nächste Kurve im Freien wieder ausspuckt. Nach einem schwarzen Kaffee, orientieren wir uns und laufen zum Taxistand. Peter erinnert sich, dass Stadttaxis als Sammelfahrzeuge funktionieren, also mehrere Personen mit unterschiedlichen Zielen zusteigen können. Beim ersten Wagen, der für einen Marokkaner anhält, schlupfen wir einfach auf den Rücksitz und werden so innerhalb von Minuten wieder am Carrefour abgesetzt. Nellie hat in der Zwischenzeit seelenruhig ein Nickerchen gemacht.

Frauenpower auf Marokkanisch

Zwischen Safi und Sidi Ifni entstehen immer mehr sogenannter Frauenkooperativen; ein Zusammenschluss von Berber-Frauen, die das kostbare Arganöl gemeinsam produzieren und vermarkten, um nicht mehr allein von der mühsamen Feldarbeit oder ihren Männern abhängig zu sein.

Arganöl ist über die Landesgrenzen hinweg bekannt, weil ihm nachgesagt wird das Immunsystem zu stärken, auf natürliche Weise Cholesterin zu senken und bei Hauterkrankungen wie Psoriasis wirksam zu sein.
Bis das flüssige Gold im Fläschchen abgefüllt werden kann, sind viele Schritte nötig: Zunächst werden die Früchte des Arganbaumes (eine sehr unscheinbare Pflanze die auch bei Trockenheit sehr gut klarkommt) gesammelt, dann die Kerne geknackt, die gewonnenen Samen angeröstet und dann in Steinmühlen gemahlen. Es ist also kein Wunder, dass der edle Tropfen teurer ist als Olivenöl. Ich unterhalte mich mit den Frauen und stelle fest wie stolz sie sind, ein eigenes Business zu betreiben, das ihnen ein Stück Souveränität erlaubt.
Inschalla – so Gott will – sehen wir uns wieder…

Zwischen Essouira und Agadir

Südlich von Sidi Kaouki soll es einen Wasserfall geben. Wir wollen uns das näher ansehen und folgen der Piste, die das Navi anzeigt. Irgendwann wird es selbst für unsere Verhältnisse zu unwegsam. So lassen wir den Landy stehen und gehen zu Fuß weiter. Alsbald können wir den Canyon sehen, den der Fluss gegraben hat, dessen Wadi grün schimmert. Der Wasserfall ist zwar nur ein Rinnsal, aber die Wassermenge reicht, um Vegetation in allen Farben entstehen zu lassen. Direkt hinter dem Wadi steigen rote Dünen auf. Wir klettern sie empor und schauen aus erhöhter Position über den tosenden Atlantik. Dünen und Meer, so nahe beieinander, daran kann ich mich einfach nicht satt sehen. Nellie hat Freude daran, die Dünen hinunter zu rennen, stellt aber sogleich mit Entsetzen fest, dass der Rückweg sehr beschwerlich ist.
Als wir zu unserem Geländewagen zurückkehren, „parkt“ ein PKW quer zu ihm. Das Ehepaar mit Kind, in Straßburg wohnhaft, und gerade auf Heimaturlaub, steht mit betretenen Gesichtern daneben. Sie haben sich bei dem Versuch zu wenden festgefahren. Wir packen die Schaufel aus, Peter gibt dem Fahrer einige Tipps und wir schieben mit vereinten Kräften an. So kommen sie nach kurzer Zeit wieder frei und können glücklich den Weg zum Wasserfall antreten.

Der „Wasserfall“ malt bunte Bilder

Unser Weg führt über Piste ein Stück ins Landesinnere. Wie für den Kontinent typisch wähnt man sich vollkommen allein, bis um die nächste Ecke ein Esel auftaucht, auf dessen Rücken Grünfutter, Brennholz oder ein Berber transportiert wird. Dann passieren wir kleine Dörfer an denen sich nicht nur Esel, sondern auch Dromedare am Fluss laben.

Irgendwann erreichen wir wieder die Teerstraße.
Peter: „Ich habe schon lange keinen Polizeiposten mehr gesehen.“
Kurz darauf überfährt er die durchgezogene Linie, weil er ein Moped überholt und nicht von der Straße abdrängen will. Wenige hundert Meter später ein Polizeiposten, der uns umgehend anhält.
Polizist: „Entschuldigung, Sie haben die durchgezogene Linie überfahren. Das kostet für Touristen 150 Dirham (umgerechnet 15 Euro).“
Tja, das nennt man wohl Instant Karma. Debattieren zwecklos, zumal wir eine DIN A4 große Quittung bekommen. Können wir uns Daheim rahmen lassen.

Wir durchfahren den Tamri Nationalpark auf der Küstenstraße. Die Natur hier sieht spannend aus: Grüne Gewächse setzen sich gegen rote Erde ab. Dahinter liegen Felsen mit riesigen Höhlen und sogar Steinbögen.
Um die nächste Ecke ist plötzlich Disneyland: Bucht an Bucht, endlose Strände, hohe Wellen und überall kleine menschliche Stecknadeln im Wasser, natürlich mit Surfbrett. Ihre Reisemobile – vom Truck bis zum Schulbus – überschwemmen den gesamten Strandabschnitt bis Agadir. Man lässt sie gewähren.
Agadir durchqueren wir so schnell es möglich ist, was immer noch eine Stunde bedeutet. Es ist die marokkanische Variante der austauschbaren Pauschaltouristenstrände, mit Bling-Bling-Promenade und Läden mit Edelmarken. In den Außenbezirken sehen wir, was das für die Einheimischen bedeutet, die sich ihre eigene Stadt nicht mehr leisten können. Sie hausen in Bruchbuden mitten im Dreck.

Unsere Vorräte gehen zur Neige, also ist einkaufen angesagt. Das tun wir in den kleineren Städten bei den lokalen Einzelhändlern oder dem, was sie hier Supermarkt nennen. Die Geschäfte sind von der Grundfläche her winzig, aber jeder Quadratmillimeter wird genutzt, selbst von der Decke baumeln Waren. Es gibt alles vom Expander bis zum Naturjoghurt. Sowohl beim Gemüseladen, als auch beim Bäcker werde ich von Kindern unter (geschätzt) fünfzehn Jahren bedient. Die sollten eigentlich in der Schule sein, denke ich. Andererseits haben sie so ein Auskommen und hängen nicht auf der Straße oder an der Autobahn ab, wie so manche Ältere, die für sich keine Perspektive sehen. Das soziale Gefälle in Marokko scheint zugenommen zu haben, denn wir sehen auch das andere Extrem: Menschen mit sehr teuren Business-Anzügen, die SUVs fahren.

Der Bäcker gibt mir das Stichwort zu einem letzten kleinen Exkurs zum Thema marokkanisches Essen. Fladenbrote direkt aus dem Ofen, die man entweder im Laden kaufen kann oder zu jedem Gericht gereicht bekommt, sind zum Niederknien. Kross gebacken, Blasen werfend und oft noch warm, wenn sie an den Tisch kommen. Neben frischem Fisch, der mal gegrillt, mal frittiert serviert wird, gehört zum Standardrepertoire eines guten Straßenlokals natürlich die Tarjine. Ich kenne sie vor allem mit Datteln, Birnen und reichlich Hühnchen mit Zitrone. Hier jedoch gehen sie mit Fleisch sehr sparsam um. Man findet die wenigen Stücke versteckt unter dem Gemüse. Dieses wird geschickt zu einem Kegel geschichtet: von Kohl, über geraspelte Karotten und Tomatenstücke bis hin zu Kartoffelecken und Zwiebeln. Die Töpfe balancieren einzeln auf Stövchen, in denen die Glut brennt. Der gute Koch ist ein Dirigent, der sein Orchester aus bis zu dreißig Töpfen gleichzeitig choreographiert. Er weiß genau, wann er würzen, die nächste Lage Gemüse auflegen oder zur Krönung vor dem Servieren eine Peperoni drapieren muss. Es macht mir Spaß diesen Männern bei ihrem Handwerk zuzusehen. Und jede Tarjine schmeckt anders, selbst wenn sie die Zutaten alle nahezu gleichen.

Tiznit und Umgebung

Nellie sitzt in ihrer typischen Haltung am Meer und verabschiedet sich. Ich habe ihr erklärt, dass wir jetzt erst einmal ein Stück ins Landesinnere fahren. Auf der Straße wechselt die Geschwindigkeitsbegrenzung so häufig wie bei uns: 80-60-40-20(!) und dann kommt ein Polizeiposten, der alle rauszieht, die sich nicht daran halten. Vielerorts gibt es Radarkontrollen oder es wird mit Handgeräten gemessen und die Sündigen direkt zur Kasse gebeten. So fahren die Marokkaner – bis auf wenige Ausnahmen – sehr diszipliniert. Auch wir sind brav – haben ja schon einmal gezahlt.

Tiznit ist ein geschäftiger Ort mit einer riesigen Kasbah hinter alten Stadtmauern. Durch eines von sechs Toren gelangt man dort hin. Es gibt einen sehr großen kunsthandwerklichen Markt für Silberschmuck, für den die Stadt berühmt ist. Da ich mir selbst vor der Abreise bei Christine Zimmermann von afrikasia.de einen Touareg-Ring zum Geschenk gemacht habe, passe ich. Im Zentrum der Altstadt ist eine riesige Freifläche von der wir erst nicht begreifen, was wir vor uns haben. Dann sehen wir die scheinbar ohne Ordnung herumstehenden Grabsteine. Ein Friedhof also. Der Muezzin ruft zum Freitagsgebet. Wir passieren die Moschee während der Zeremonie. Von drinnen dringen gesungene Verse an unser Ohr. Ich wüsste zu gern, was sie bedeuten. Die Bauweise des Gebäudes ist interessant, denn die Moschee ist in Teilen aus Lehm erbaut, samt Stöcken, die wie Trittleitern in regelmäßigen Abständen in den Rundbau eingearbeitet sind. Diese Optik kenne ich aus Mali. Dass sie hier auch vorkommt überrascht mich. Es geht das Gerücht, dass die Stöcke noch einen zweiten Nutzen haben: Sie halten den Teufel vom Beten ab.

Unweit von Tiznit findet sich die kleine Oase Ouijane. Ein Palmenhain mitten in wüstenhafter Landschaft. Bei einer Führung durch das Dorf lernen wir, wie die Bewässerung der Felder funktioniert. Jeder Familie am Ort ist ein Feld zugeordnet, das über ein System von Kanälen mit einer von insgesamt drei natürlichen Quellen am Ort verbunden ist. Welches Feld wann mit der Wasserversorgung dran ist, wird über eine Sonnenuhr geregelt, die schon die Portugiesen errichtet haben. Jede Stunde vollzieht sich der Wechsel. Die Reihenfolge der Familien ist seit langem festgeschrieben und nicht verhandelbar. Ein älterer Mann malt mit dem Fuß eine Linie in den Sand. Sie zeigt an, wann er den Wasserlauf verändern darf, damit seine Felder bewässert werden. Das Prinzip ist uralt und funktioniert bis heute, faszinierend.
Nellie, die sich wenig für derlei Feinheiten interessiert, entdeckt derweil wie gut Datteln schmecken. Ab jetzt ist sie jeder Einzelnen hinterher. Wir müssen auf der Hut sein, weil sie sie mitsamt den Kernen schluckt.

Samstag ist Markttag in Ouijane. Das ist ein Spektakel das wir uns nicht nur ansehen, sondern bei dem wir unsere Vorräte tüchtig aufstocken. Es gibt einen Bäcker, der die Brote von der Pritsche seines Pick-Up verkauft. Ein anderer zerteilt Fisch auf einem Bett von Petersilie. Wieder andere haben ihr Obst und Gemüse auf Planen am Boden ausgebreitet. Darüber hängen die typischen Tücher der Berberzelte. Es gibt Datteln und Orangenkekse.
Erst nach einer Weile fällt uns auf, dass wir handverlesenen Touristinnen die einzigen Frauen sind. Von den Einheimischen sind sowohl Verkäufer als auch Käufer ausnahmslos Männer.
Nun fehlt mir nur noch Butter und Eier. Ich laufe zu einem Laden, der eine Art Schaufenster hat, an dem ich meine Bestellung aufgeben kann. Zu meiner großen Freude kann er meine Wünsche erfüllen. Die Eier werden abgezählt, die Butter nach Wunsch abgewogen. Toll!

Sidi Ifni und Plage Blanche

Und dann kehren wir doch noch einmal zum Atlantik zurück. Der Ort Sidi Ifni hat eigentlich nicht wirklich etwas zu bieten, trotzdem hat er sich zur Hochburg für Campingfreunde entwickelt. Die Stadt macht es uns aber auch leicht, denn die Camps sind an den besten Stellen angesiedelt. Wir entscheiden uns für den Kleinsten, der hoch über den Ort liegt. Sidi Ifni ist recht charmant. Irgendwer hat wohl die Direktive ausgegeben, dass die Häuser alle in weiß und blau zu halten sind. Uns erinnert das sehr an Griechenland. Viele der Gebäude sind gebaut wie Schiffe, haben runde Fenster oder Design-Elemente aus der Art Deco-Zeit. Hier ist Peter in seinem Element. Der Bereich in dem man als Fußgänger die Stadt erkunden kann ist aufwändig und breit gestaltet, mit vielen Möglichkeiten über das Meer und damit auch auf den Sonnenuntergang zu sehen. Bei unserem Spaziergang lassen wir natürlich auch den Strand nicht aus, an dem Nellie einige einheimische Kumpels trifft. Ich erwärme mich für die roten Felsen, die hier bis ins Meer hineinragen. Peter streckt die Zehen ins Wasser. Herrlich!

Nellies Morgenrunde drehen wir auf einem riesigen freien, staubigen Areal mitten im Zentrum der Stadt. Wir fragen uns, wofür dies einst genutzt wurde. Des Rätsels Lösung: Es war ein Flugfeld von dem aus sogar der Schriftsteller und Pilot Antoine de Saint Exupéry gestartet sein soll. Man munkelt, dass die Geschichte um den Kleinen Prinz in Marokko ihren Ursprung nahm.

Von hier aus führt eine Straße Richtung Süden. Die Vegetation wird alsbald recht eintönig: Halbverdorrte Büsche auf roter Erde. Am Oued Noun biegen wir auf die Piste ab und suchen uns ein Übernachtungsplätzchen am Strand. Dieser endet an bizarren, spitzen, tiefschwarzen Felsen. An deren vorderem Ende stehen Angler.

Ein Stück weiter südlich beginnt der Plage Blanche. Viele Offroad-Freunde freuen sich hier auf Strandfahren bei Ebbe. Peter und ich diskutieren kurz, entscheiden uns aber dagegen. Der einfachere Weg führt direkt am Oued entlang, der hier sogar reichlich Wasser führt, aber kurz vor dem Meer versickert. Dahinter liegen die weißen Dünen, denen der Strand seinen Namen verdankt. Wir suchen uns am Oued einen Platz für die Nacht und machen einen langen Strandspaziergang, wobei Nellie den ebenen, feuchten Teil bevorzugt, ich hingegen den weichen, weißen Sand.

Die Mündung des Draa

Hinter dem Ort Tan-Tan kann man auf perfekter Teerstraße zum Canyon fahren, den der Fluss Draa in die Landschaft gegraben hat. Genau hier stürzte sich der Fluss, der ganz Marokko in der Breite durchquert, einst in den Atlantik. Die Ausblicke vom Rand des Canyons sind spektakulär, denn das verbleibende Süßwasser erzeugt Vegetation die in bunten Farben schimmert. An der Mündung werfen sich weißsandige Dünen auf, wie am Plage Blanche. Hier gefällt es uns. Also beschließen wir, uns etwas abseits der riesigen und im Dunkeln beleuchteten Parkplatzanlage ein Plätzchen im unwegsamen Gelände zu suchen. Nach einem längeren Strandspaziergang – die Sonne geht schon langsam unter – ziehen wir uns in den Landy zurück. Wir wollen gerade damit beginnen das Abendessen zu richten, als Peter draußen Stimmen vernimmt. Ein junger Mann vom Militär lässt uns wissen, dass dies Sperrgebiet ist. Wir müssen bis 20 Uhr das Feld geräumt haben. Also packen wir alles wieder ein und fahren im Dunkeln bis Tan Tan-Plage, wo es einen Campingplatz gibt, der uns zu so später Stunde noch aufnimmt.

Hier treffen wir die Vorbereitungen für unsere Wüsten-Tour. Wir sind mit dem Draa nämlich noch nicht fertig. Es gibt eine sagenhafte Off-Road-Strecke, am Bett des Flusses entlang. Diese ist unser nächstes Ziel. Aber davon erst im nächsten Blogbeitrag…

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