In diesem Reisebericht erzählt Heidi Metzmeier, warum sie sich in Frankreich verliebt hat

La vie en rose

Heidi Metzmeier Icon

Es beginnt mit Frankreich, weil es immer mit Frankreich beginnt, selbst Touren deren Ziel weit im Osten liegen. Wir haben uns gefragt woher sie kommt, unsere Liebe zu diesem Land und zahlreiche Antworten gefunden. Ja, auch der Wein und der Käse – geschenkt. Viel mehr aber die Mentalität der Franzosen. Die Menschen machen etwas mit uns, dieses fröhliche Lächeln, die Begrüßung auf der Straße oder aus dem Auto, selbst wenn man sich nicht kennt. Ihre Weltoffenheit, die man schon daran erkennt, dass im Fernsehen das Wetter sich nicht auf Frankreich beschränkt, sondern den ganzen Globus umspannt. Das gleiche im Radio: Wenn wir unterwegs in diesem großen Land einen Sender einstellen, dann haben wir das Gefühl, dass hier noch echte Musikredakteure am Werk sind, die deinen Horizont erweitern wollen. Weltmusik nennt man wohl die Mischung die dabei herauskommt und bei der ich immer wieder Künstler entdecke – auch aus anderen Kontinenten – für die ich mich begeistern kann. Natürlich spielt auch die Ernährung eine Rolle. Wir reisen durch Frankreich mit einem dicken Buch mit über zweitausend Adressen. Das System heißt France Passion. Für 35 Euro im Jahr bist du Teil einer Gemeinschaft, die an Austausch interessiert ist. Privatpersonen bieten dir ihr Grundstück zum Übernachten an und freuen sich, dir ihre Kunstfertigkeit zu zeigen. Das geht von Weingütern über Bauernhöfe bis hin zu Schnecken- oder Safranzüchtern. Auf diese Weise machen wir bei jedem Aufenthalt neue Bekanntschaften und lernen immer wieder etwas dazu.

Als I-Tüpfelchen erscheinen uns nicht zuletzt die vielfältigen Landschaften von rotglühenden Weinbergen, über schneebedeckte Berge bis hin zu glasklaren Flüssen, an denen mittelalterlich anmutende kleine Dörfer liegen. Viele davon sind noch lebendig, mit einer Infrastruktur aus Bäcker, Metzger, Florist und kleinem Markt. Die Leute kommen hierher, um einzukaufen und den neuesten Klatsch aus dem Dorf zu besprechen. Auf diese Weise bleiben die kleinen Geschäfte erhalten und das Personal macht seinen Job nicht nur selbstbewusst kompetent, sondern auch als Lebensinhalt sieben Tage die Woche mit einem Lächeln im Gesicht. Gerade im Süden haben die Menschen eine andere Einstellung zur Arbeit. Als Selbstständige öffnen sie ihre Läden dann, wenn die Kundschaft Zeit hat, auch wenn das heißt, am Samstag Abend um 20 Uhr Haare zu schneiden. Uns fällt auf, dass der Kern der Kleinselbstständigkeit die Kommunikation ist.

Wir grinsen ebenfalls breit, als wir durch die burgundische Pforte fahren und in unserem Land Rover, der zum Reisemobil umgebaut ist, den ersten Tagen der Winterreise 2024/25 entgegenrollen. Unsere Hündin Nellie hingegen guckt noch etwas skeptisch. Ihr will nicht einleuchten, warum sie – kaum in einem echten zu Hause angekommen – schon wieder verschleppt wird. Ich weiß allerdings, dass ich sie spätestens am Meer überzeugt habe.
Den ersten Zwischenstopp legen wir in Louhans ein, mit seinen 154 Arkaden und einem Caravan-Stellplatz ganz ruhig im Grünen an einem Flüsschen.
Dann geht´s weiter Richtung Süden. Die Autobahn um Lyon ist gespenstisch leer. Wir wundern uns, bis Dr. Google das Rätsel lüftet: Der 11.11. ist in Frankreich ein Nationalfeiertag. Im Departement Lauzère machen wir in einem pittoresken Dörfchen namens Chanac gleich die nächste Erfahrung auf der langen Liste der Pluspunkte für Frankreich. Wenn in Deutschland „Malzeit“ anbricht, dann geht´s entweder zum dreißigminütigen Speeddating mit einem Kollegen in die Kantine, oder – wenn man zu den körperlich arbeitenden Menschen gehör – gönnt man sich etwas Mitgebrachtes, wenn es sein muss im Auto sitzend. Die Franzosen machen eine ordentliche Mittagspause mit warmer Malzeit, täglich. Wir haben uns angewöhnt danach Ausschau zu halten, wo die meisten Handwerkerautos geparkt sind. Da schmeckt es meistens gut. Nun also das einzige Restaurant in Chanac. Wir betreten den Speisesaal, in dem die Tische bereits eingedeckt sind, inklusive Karaffen mit Wasser und Rotwein. Die Debatte, ob wir Menü nehmen oder nur das Tagesgericht erübrigt sich, denn wir werden gar nicht erst gefragt. Es kommt, wie es kommt. Und wie es kommt! Linsensalat, Quiche mit Hackfleisch-Ei-Füllung, Perlhuhn mit Reis, Käseplatte und zu guter Letzt ein Gedicht aus Blätterteig mit warmer Birne und Schokolade. Nach dem Espresso habe ich die Befürchtung zu platzen. Also rauf zum Turm über der Stadt. Zum ersten Mal auf der Tour haben wir strahlenden Sonnenschein. Nellie wälzt sich in der grünen Wiese vor Freude. Wir sitzen auf einer Bank und ich lausche der Geschichte, die mir Peter erzählt über die Bestie von Gevaudan. Zwischen 1764 und 1767 starben hier in der Gegend über einhundert Menschen, vor allem Hirtenkinder. Sie wurden angeblich von einer Bestie umgebracht. Nachdem die Tragödie ein derartiges Ausmaß angenommen hatte schickte der König einen fast achttausend Mann starken Trupp, die Männer vor Ort behalfen sich mit den Mitteln die ihnen zur Verfügung standen, um die Bestie zur Strecke zu bringen. Ein Jäger erschoss schließlich einen Wolf, der für die Taten verantwortlich gewesen sein soll. Bis heute ranken sich einige Mythen um diese Erzählung. Historiker sind sich nicht sicher, ob es sich wirklich um (einen oder mehrere) Wölfe gehandelt hat, oder um ein anderes – vielleicht tollwütiges, oder auch abgerichtetes  – Raubtier. Manche halten auch immer noch einen Serienmörder für denkbar.
Nach so viel Grusel mag ich hier nicht bleiben, also weiter zu unserem ersten vorgeplanten Ziel, dem Tal des Flusses Lot. Hier entlang führt der Wanderweg der Jakobspilger. Wir haben diese Strecke in guter Erinnerung, insbesondere das Stück durch die malerische Schlucht.

Espalion am Fluss Lot

Sagte ich schon, dass ich nicht sonderlich gut bin als Navigatorin? Irgendwann landen wir statt am Fluss oben im Hochland des Aubrac. Herrlich grüne Wiesen, ein paar Weinstöcke und sehr viele Rinder gleichen Namens. Hier warnen Schilder die Autofahrer vor Pilgern im meditativen Zustand. Nicht schön, wenn die einem in Trance vor die Motorhaube laufen. Ich kann mich nur zu gut erinnern, dass es mir 2017 genauso ging. Die Landschaft mit ihren satten Farben und den weißen Kalksteinen trägt einen in andere Sphären.
Zurück am Fluss wird – versteckt in einem Waldstück – erst mal die Außendusche angeworfen. Frisch gewaschen und in gut riechender Kleidung wird die Fahrt dann frohgemut fortgesetzt bis in den Weiler Bez, wo wir für heute auf einer Farm für Nussprodukte unterkommen. Die Nusskreme ist ein kalorienreiches Gedicht, nach dessen Genuss ich Nutella wohl nicht mehr anfasse. Und das Nussöl erst, wer da nicht freiwillig Salat isst…Nellie freut sich vor allem, weil sie mit Paco, dem Haushund, über den Rasen rennen und sich mit ihm zu einem felligen Knäuel verwinden kann.

Vielleicht interessiert euch, wie unsere Morgenroutine aussieht: Heute wirkt der Vollmond als runde Scheibe in einem morgenroten Himmel gigantisch groß, als ich verschlafen aus dem Alkovenfenster schaue. Eine kleine Runde Meditation, bevor ich mit Nellie die Morgenrunde drehe. Gleich wird der Mond hinter den Hügeln verschwinden. Derweil Gymnastik für alle, während Peter dafür gesorgt hat, dass es im Landy bereits nach Kaffee duftet. Also schnell ins Warme – Gott segne den Erfinder der Standheizung. Der Rasen ist noch mit Raureif bedeckt, als wir mit dem Frühstück fertig sind. Zum zweiten Kaffee sitzen wir in einer Kneipe die übersetzt „Der Schelm“ heißt. Das Dorf wird dominiert von einem bunten Völkchen in Wollkleidung. Da kommt es mir nicht einmal seltsam vor, dass ein Planwagen vorbeifährt, dessen Zugpferd von einer Frau mit Rasta-Haar geführt wird. Ihr Partner sitzt derweil auf dem Wagen, hinter sich eine Wand mit Postkarten. Am Ende des Trosses ein weiteres Pferd und ein Drahtesel. Die Arten und Weisen sein Leben zu gestalten sind vielfältig.

Clos de Pougette, ein Biowinzer. Wir parken unter einem Baum zwischen den Weinreben. Es ist kein guter Moment. Der junge Betreiber des Weinguts setzt bei der Weinbergpflege auf den Einsatz von Schweinen. Erst vor wenigen Tagen hat er zwei neue hinzugekauft. Als wir ankommen sind alle in heller Aufregung. Die Tiere haben sich davongestohlen. Wir machen einen Spaziergang mit Nellie, durch die Weinberge, in der Hoffnung den Tieren vielleicht zu begegnen. Leider Fehlanzeige, obwohl Nellie gefühlt an jedem Grashalm stehen bleibt, um ihn ausführlich zu beschnuppern. Die Verkostung ist trotz Schweinedilemma ein großes Ereignis, bei dem ich viel über Wein lerne. Aber auch am nächsten Morgen sind die Tiere nicht zurück. Wir wünschen dem Hausherrn alles Gute und setzen etwas bedrückt unsere Reise fort. Mein Morgen ist ohnehin ruiniert. Ich bin ein Kaffee-Junkie und habe mir die erste Dosis verdorben, indem ich statt Hafermilch Orangensaft hineingeschüttet habe. Widerlich kann ich euch sagen.

Wir stocken unsere Vorräte auf im Spar-Geschäft eines kleineren Ortes. Bei der Bezahlung mag das Gerät meine Kreditkarte nicht. „Macht nix, wir nehmen den Land Rover in Zahlung!“, sagt die flippige Dame an der Kasse. Netter Versuch…
Auf einer Ferme in der Nähe von Domme am Fluss Dordogne riecht es nach Himbeeren als wir uns dem Haupthaus nähern. Madame kocht gerade die letzten Früchte der Saison ein. Wir übernachten auf einem Bauernhof in einer Umgebung die reich ist an prähistorischen Funden. Die Jahrtausende alten Zeichnungen werden vor Verwitterung geschützt, indem man exakte Repliken erstellt hat, durch die jedes Jahr tausende von Touristen geschleust werden. Höhlen aus Pappmaché, nein danke!

Wir fahren ein Stück auf der Autobahn. Diese ist in Frankreich gebührenpflichtig. Ich wundere mich zum wiederholten Mal, dass unsere Tickets an der Bezahlstation unlesbar sind. Jetzt geht mir langsam auf, dass es nicht die brillanteste Idee ist, dieses zusammen mit meinem Mobiltelefon aufzubewahren.

Bisher ist es Peter immer gelungen mich um Carcassonne herum zu führen. Er hat einfach keine Lust auf große Städte mit viel touristischem Auflauf. Heute ist es fast unvermeidlich, denn es wird bereits dunkel und wir haben noch keinen Standplatz gefunden. Also parken wir auf dem Caravan-Stellplatz und versuchen neben den Wohnmobilen unauffällig auszusehen. Am anderen Morgen locke ich Peter mit der Aussicht auf ein Frühstück in der Festungsanlage. Diese ist beeindruckend groß, man sieht sie schon von der Autobahn aus. Der Fußweg dort hin führt an einem Bächlein entlang, das mit Platanen gesäumt ist, richtig nett. Der Schlag trifft uns allerdings, als wir die äußere Festungsmauer überwunden haben und das Innere der Burg erreichen. Disney World ist Kinderkram gegen das hier. Der Renner ist alles was mit dem Thema „Inquisition“ zu tun hat. Es gibt eine Art „Geisterbahn“ die mit einem Sarg am Eingang aufwartet. Dazu jede Menge Bling-Bling. Wir finden zwar ein Café das geöffnet hat, aber die Brühe ist scheußlich. Folter trifft es ganz gut, meine Magenschleimhaut rebelliert. Also nix wie weg hier.

Die Burgmauern von Carcassonne

Peter liebt die Weinsorte Corbière. Also fahren wir über zahlreiche Serpentinen in das Gebiet, in dem dieser Wein angebaut wird. Da die Sonne von einem wolkenlosen Himmel lacht, gleicht die Fahrt einer Tour durch ein herbstliches Gemälde. Die Weinstöcke leuchten in kräftigen Tönen aus rot, gelb und orange. Unterbrochen wird das Farbspektakel vom satten Grün der dazwischen akkurat aufgereihten Olivenbäume. Durch die Gorge de Sou, entlang an weißen steilen Kalksteinwänden, erreichen wir schließlich das Örtchen Lagrasse (wörtlich übersetzt „die Fette“). Der Ort wird dominiert von einer riesigen Abtei, die wir in einem Spaziergang durch Olivenhaine und an einer Kleingartensiedlung vorbei umrunden. Hier wird von liebevoller Hand Gemüse gehegt und gepflegt. In dieser Nacht kommen wir bei einem Weingut unter. Das Chateau Villemagne gibt es seit dem 12. Jahrhundert. Die Familie betreibt das Weingut seit dem 17. Jahrhundert. Der Hausherr hat das Geschäft bereits an seine Tochter und den Schwiegersohn übergeben. Er selbst hat ein interessantes Hobbie: Er sammelt frühzeitliche Artefakte auf dem Grundstück, das zum Schloss gehört. In den Glasvitrinen sind, bei der Führung durch den Weinkeller, nicht nur Werkzeuge, sondern auch römische Münzen zu bestaunen. Sein ganzer Stolz ist jedoch eine Amphore, die zweitausend Jahre alt ist. Sein Wein zeugt von einer langen Winzertradition und von viel Humor. Einen Weißwein hatte er allen Ernstes für eine ganze Zeit in einem Holzfass vergessen. So ist der Name Programm: „L‘ Óublié – Der Vergessene“. Toller Geschmack und Beweis dafür, dass für manches Produkt Können und Zufall zusammenkommen müssen. Sein Kommentar: Schmeckt nicht nach Chlor oder Pampelmuse wie so manches andere, was hier angeboten wird. Selbstbewusstsein gehört eben auch zum Geschäft. Was mich besonders beeindruckt ist, dass sie hier als Familienunternehmen alles alleine stemmen, mit Ausnahme der Lese, da haben sie Helfer aus Spanien und beim Abfüllen unterstützen sie Portugiesen.

Lagrasse
Die Abtei
Der Corbiere im Herbst
Die 2000 Jahre alte Amphore des Chateau Villemagne

Unser letzter Abstecher bringt uns zu den Katharerburgen im Fenchelland, kurz vor den Pyrenäen. Auch hier waren wir vor Jahren schon einmal zu Besuch. Ich wollte unbedingt zurück, weil mich die Geschichte der Katharer fasziniert. Sie wurden als Sekte verschrien, weil ihre religiösen Ansichten der römischen Kirche in Teilen zuwiderliefen. So lehnten sie beispielsweise das Alte Testament ab. Als Ketzer wurden sie verfolgt und schließlich besiegt. Ihre Rückzugsgebiete in auf Abwehr fokussierten Burgenanlagen kann man bis heute besichtigen. Wir nehmen uns für dieses Mal das imposante Chateau de Aquilar vor. Eine der weniger überlaufenen Sehenswürdigkeiten, die wir an diesem Tag ganz für uns alleine haben. Die Kirche wurde wieder aufgebaut. Die Festungsanlage mit ihren zahlreichen Wehrtürmen erschließt sich uns in ihren vollen Ausmaßen erst, als wir den Hügel über ihr erklimmen, um auf sie hinuntersehen zu können.

Katharerburg Chateau d´Aquilar
Der Schatten der Geschichte in der Kirche des Katharerschlosses
Blick von oben auf die Burg von Aquilar

Zu guter Letzt bricht einmal mehr der Hippie in mir durch. Wir laufen in Esperaza ein (nach einer Fahrt durch eine der zahlreichen, namenlosen aber gewaltigen Schluchten), just an einem Sonntag, an dem hier der Wochenmarkt stattfindet. Der Unterschied zu anderen kulinarischen französischen Märkten ist, dass sich hier sehr buntes Volk versammelt, sowohl als Verkäufer, als auch als Käufer. Nie war die Dichte an Bussen mit Nepalfahnen um unseren Stellplatz herum größer. Hier gibt es selbstgebackenes Brot, Hennafarbstoffe, Wollkleidung, Musikinstrumente und jede Menge leckere Gerichte, auch zum Mitnehmen. Wir versorgen uns üppig und setzen uns dann mit einem Gläschen Weißen an den Rand des Marktplatzes, um dem bunten Treiben aus Marktbeschickern, Hunden und Kunden zuzusehen. Hierüber würde ich gern einen Dokumentarfilm sehen. Die Geschichte (fast) jedes Einzelnen interessiert mich. Die Atmosphäre ist jedenfalls entspannt bis fröhlich und am Ende versammelt man sich auf der Wiese am Fluss, um noch ein bisschen zu musizieren und zu tanzen. Ein gelungener Abschluss eines sonnigen Einstiegs in unsere Winterreise, die nun mit Südspanien ihre Fortsetzung findet.

Der Sonntagsmarkt von Esperaza

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